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Kolumne WortklaubereiWesterwelleoversampling

Kolumne
von Josef Winkler

Neues aus der Hirnforschung: Meins scheint Vorbehalte gegenüber dem Außenminister zu hegen.

G erade habe ich - was vermutlich eher selten vorkommt - Guido Westerwelle unrecht getan. Das heißt, ich gehe doch mal schwer davon aus, dass das eher selten vorkommt. Müsste ich annehmen, ich täte ganz unbewusst täglich auf arge Weise Guido Westerwelle unrecht, wenn ich mich mal wieder über eine seiner Einlassungen echauffiere beziehungsweise in haltlose Tiraden hineinsteigere, dass das ganze Haus zusammenläuft und meine Freundin jeden Moment die Männer mit den weißen Turnschuhen anrufen muss, ich müsste ja meine ganze Weltsicht infrage stellen! Hm. Vielleicht liegt er ja doch richtig mit den Steuersenkungen für Hoteliers? Und zum Leistungsgedanken mag man ja stehen, wie man will, aber … NEEIIINN!!!

"Westerwelle lässt Protestierende allein", las ich im Vorbeigehen als Überschrift auf der vorvorgestrigen taz, die da im Flur rumliegt. Zum Kuckuck, dieser Westerwelle! Richtet der nicht schon genug Schaden an, was für einer gerechten Sache versagt er denn jetzt wiederum die Unterstützung, der Erschröckliche?

Ich las genauer hin. Oh. "Westen lässt Protestierende allein." Es ging in dem Text um die westlichen Industrienationen und ihre zögerliche bis nichtvorhandene Rückendeckung des Volksaufstandes gegen das Mubarak-Regime, wie sie bei der Münchner Sicherheitskonferenz zum Ausdruck kam. "Westen lässt Protestierende allein" macht's natürlich nicht besser, und lieber sähen sich die Protestierenden in Ägypten - manchem hierzulande wird's ähnlich gehen - vermutlich von Guido Westerwelle alleingelassen als vom ganzen Westen.

Bild: privat

JOSEF WINKLER lebt und arbeitet, was sein Nervenkostüm und Zeitbudget nicht unerheblich in Anspruch nimmt, in München und Palling. Hobbies: Zeichnen, Tiere, Musik, Nichtschwimmen.

Aber ist es abgesehen davon nicht bemerkenswert, wie das Gehirn arbeitet? Wie es Daten, die ihm fehlen, um eine eingelesene Information sinnvoll verarbeiten zu können, quasi aus dem Großhirnspeicher zieht und oversamplingmäßig hinzurechnet? Es gibt ja etwa diese interessante Entdeckung, dass von einem Wort nur der erste und letzte Buchstabe richtig platziert sein müssen, der Rest kann Kuddelmuddel sein, und das Gehirn kapiert's trotzdem. Was sagt Ihnen beispielsweise der folgende Satz?: "Wselwelerte lsäst Pnteeiosrredte aeliln." Eben.

Mein Gehirn tut nun etwas ganz Ähnliches und ergänzt einen Input, der ihm nicht einleuchtet, in Blitzschnelle mit einer sinnfälligen Information: Negativ-unsympathische Aussage in Verbindung mit einem Namen mit Ws und Es und T und S? Bingo: "Westerwelle lässt Protestierende allein"! Ich habe den Satz jetzt noch mal hingeschrieben, weil mir klar wird: Ich hab dem ja gar nicht unrecht getan. Hätte mich doch auch gewundert. Guido Westerwelle vertritt ja einen doch recht wichtig genommenen Teil des Westens und hat also auch die Protestierenden in Ägypten mit alleingelassen. Insofern …

Aber das interessiert mich jetzt doch. Jetzt machen wir zum Schluss noch einen psychologischen Test. Atmen Sie mal durch und machen Sie ihr Gehirn gaaaanz leer. Was lesen Sie in den folgenden Zeilen? Westernheld schubst kleines Kind vom Klo. Weseresel tritt Oma vors Schienbein. Westendmädchen macht süßes Vögelchen tot.

Na? Faszinierend, nicht wahr?

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