Kolumne Wortklauberei: 9.21 Uhr – heute schon gefeiert?
Der E-Mail-Newsletter von Hurtigruten stellt seltsame Fragen. Gegenfrage: Habt ihr „tierisch“ den kompletten Vollvogel?
Heute schon gefeiert?“, fragt, so scheint es, allen Ernstes der E-Mail-Newsletter von Hurtigruten am Mittwochmorgen um 9.21 Uhr. Ja, aber sicherlich hab ich heute schon ausgiebig gefeiert. Wir sind schon am Boden herumgekugelt vor Lachen, es gab Ringelpiez mit Anfassen und Bowle mit Ananas und dazu einen Bommerlunder, weil: Was soll der Geiz?, und am Ende eine Scharade, bevor wir kraftlos in die Kissen sanken.
Gegenfrage: Habt ihr den kompletten Vollvogel? Erstens mal, Hurtigruten: Danke für die Infomail. Aber wenn ich mir bei nordischem Sauwetter den Arsch abfrieren will, dann kann ich das auch sehr preisgünstig und, ohne mich größerem Reisestress auszusetzen, an einem ganz normalen bayerischen Frühlingstag tun.
Von Postbooten, ganz zu schweigen vom Postboten, hab ich auch heute schon wieder den Kanal respektive den Flur voll – seit in aller Früh schon wieder so ein Kurier des Zaren acht Kubikmeter Päckchen für die Nachbarn bei uns hinterlegt hat. Und außerdem fragt man Leute, die man gar nicht kennt – gut, außer man ist anstandsamputierter Talkmoderator im deutschen Fernsehen – keine bescheuerten Sachen einfach so aus dem Stegreif.
Josef Winkler lebt in München, schreibt unter anderem für das bayrische Magazin „Muh“ und kolumniert für die taz.
Denn es könnte zum Beispiel sein, dass die Leute momentan gar nicht so viel zum Feiern kommen oder gar nicht so viel zu feiern haben. Und dass sie deswegen zur Steigerung ihres Wohlbefindens vielleicht nicht schon zwingend in aller Herrgottsfrüh mit der Wahrnehmung konfrontiert werden müssen, dass sie, wenn es nach dem Lebensgefühl von irgendwelchen hedonistischen norwegischen Postboot-Heinis ginge, heute schon „tierisch“ einen abgefeiert haben könnten, wenn sie nicht solche Depri-Trantüten mit Zeitmanagementproblemen wären.
Da rückt diese Frage „Heute schon gefeiert?“ ganz schnell auf in eine Preisklasse mit der allseits beliebten Aufforderung „Lach doch mal!“ und natürlich dem unsterblichen Morgengruß von Terence Hill als Nobody: „Siehst gut aus, Locke. Heute schon gekotzt?
„Tierisch“ geht einfach nicht mehr
Eins noch zu „tierisch“. Das Wort „tierisch“, adverbial benutzt, das geht einfach nicht mehr. Das ist weder zeitgemäß noch auch nur mit einem Hauch von Originalität behaftet, wenn heute irgendwo einem Typen vom einem, keine Ahnung, Langnasenmakaken das Leben gerettet wird, und dann steht in der Zeitung, dass der Typ „tierisch Glück gehabt“ hat. Oder wenn’s im Prospekt heißt, dass es im Zoo „tierisch viel zu sehen“ gibt.
Ich bitte alle Verantwortlichen, von der weiteren Verwendung dieses Adverbs abzusehen. Aber was helfen meine Aufrufe – der Reporter Steffen Simon sagt ja auch immer noch unbeirrt „erster Durchgang“ zu einer ersten Halbzeit eines Fußballspiels, was klarerweise eine Narretei ist.
Jetzt seh ich grad, da steht ganz unten in der Hurtigrutenmail: „Falls Ihnen dieser Newsletter nicht korrekt angezeigt wird, klicken Sie bitte hier“. Da schau her. Vielleicht wurde der Newsletter nur nicht korrekt angezeigt, und da sollte eigentlich stehen: „Heute schon wieder mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden?“ Dann Entschuldigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen