Kolumne Völker in der Volksrepublik: Marta und das Chaos
Unser Kolumnist hat alles gesehen: Schanghai, Hangzhou, Wuhan, Peking und Tianjin. Und natürlich die ganzen Spiele. Jetzt weiß er: Marta ist die Spielerin dieser WM
Wir mussten lange reisen, von Schanghai über Hangzhou zurück nach Schanghai, weiter nach Wuhan, von dort nach Peking und mit dem Bus in schier endloser Fahrt nach Tianjin, dann gings von Tianjin mit dem Flieger wieder ins fast schon heimatliche Schanghai. Wir haben tausende von Kilometer zurückgelegt, etliche Spiele bei dieser Frauenfußball-Weltmeisterschaft angeschaut, Statistiken durchforstet, Kollegen gefragt und Matches in der Wiederholung gesehen. Doch wir wurden nicht fündig. Wer sollte die Spielerin des Turniers sein? Birgit Prinz? Kelly Smith? Ragnhild Gulbrandsen? Ma Xiaou? Abby Wambach? Oder Ri Kum Suk, die Nordkoreanerin? Jetzt haben wie sie gefunden: Marta. Oder wie sie mit vollem Namen heißt: Marta Vieira da Silva, 21 Jahre alt, Weltfußballerin des Jahres 2006, 1,62 Meter groß und 56 Kilogramm schwer.
Im Halbfinalspiel gegen die USA schoss sie ein Tor, das in keinem Fußballarchiv dieser Welt mehr fehlen darf. Auf der linken Seite lupfte sie den Ball mit der Hacke an ihrer perplexen Gegenspielerin rechts vorbei, umkurvte sie links, übertölpelte das nächste US-Girl, indem sie einen Schuss mit links antäuschte, dann aber mit rechts schoss - und traf. Jetzt endlich wissen wir: Marta ist die Spielerin dieser Weltmeisterschaft, selbst wenn sie im Finale gegen die Deutschen nur noch über den Ball säbeln sollte und ein Eigentor fabrizierte. Marta hat uns versöhnt mit der WM, die, milde ausgedrückt, nicht immer alle Erwartungen erfüllen konnte.
Seit 2004 spielt Marta in Schweden, bei Umeå IK. Vorher kickte sie für Clube Santa Cruz in Brasilien. Mit Marta wurde Umeå zweimal schwedischer Meister, kein Wunder bei dieser Frau. Sie ist ja nicht nur technisch beschlagen, wie es so schön heißt, nein, sie kann sich auch durchsetzen und ist stark im Abschluss. Diese drei Eigenschaften an eine Person vereint zu finden, ist höchst selten. Deswegen ist es kein vorschnelles Urteil, Marta als die derzeit weltbeste Fußballerin zu bezeichnen. Dumm nur, dass die Deutschen am Sonntag gegen den Seidenfuß aus Südamerika ranmüssen. Aber sie können sich trösten: Eine Spielerin macht noch keine Mannschaft.
Es geht im Hongkou-Stadion von Schanghai um die Titelverteidigung. Die Chancen stünden fifty-fifty, sagt Bundestrainerin Silvia Neid, die sich nicht sonderlich beeindruckt zeigt von der Show Martas. In Manndeckung werde sie jedenfalls nicht genommen, verspricht Neid. Es sei besser, "in Ballnähe mit Überzahl gegen sie zu arbeiten", außerdem dürfe ihre Elf nicht zuzuschauen, wenn die Brasilianerinnen ihre Ballkunst aufführten, sondern sie müsse versuchen "reinzugehen", "dazwischenzuhauen". Brasilien wurde vom Analyseteam des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) eingehend studiert, und herausgekommen ist ein verblüffender Befund: Brasilien hat auch Schwächen. Neid: "Wir werden Raum über die Halbpositionen haben." Das brasilianische System ist in der Tat etwas chaotisch. Die Spielerinnen orientieren sich eher zwanglos an der zugeteilten Position, und wenn ihnen der Sinn danach steht, verfolgen sie eine ballführende Gegnerin schon mal über den halben Platz oder sie unternehmen einen Kreativausflug in die Spitze. Das wird Marta auf jeden Fall tun, unsere Spielerin des Turniers.* Mit leichter Hand das Schaf wegführen (altchinesisches Kriegsstrategem)
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