Kolumne Unter Leuten: Mit Tinder durch Amman
Eigentlich hatte unser Autor mit Tinder abgeschlossen. Doch kaum 4 Stunden nachdem er sie gelöscht hatte, war die App wieder auf seinem Smartphone.
K urz bevor ich in Berlin-Tegel ins Flugzeug steige, lösche ich Tinder von meinem Smartphone. Endgültig. Die Reise nach Jordanien ist ein guter Anlass, um mit der App Schluss zu machen. Mich durch Hunderte Porträtfotos zu wühlen, belanglose Nachrichten zu schreiben und langweilige Dates zu überstehen – das ist nichts für mich.
Ein paar Stunden später sitze ich im Taxi. Draußen ziehen die Straßen Ammans vorbei. Es ist Abend. Blinkende Reklametafeln von Schnellrestaurants. Menschen vor einer Moschee. Straßennamen in arabischer Schrift. Eine fremde Welt, die mir verschlossen bleibt.
Wer hier wohl Tinder nutzt? Und vor allem wofür? Diese Fragen schießen mir plötzlich durch den Kopf. Und wollen nicht mehr verschwinden. In Berlin gibt es drei Gruppen. Die einen suchen auf Tinder Sex. Die anderen einen Partner. Und die dritte, vermutlich größte Gruppe weiß selber nicht, was sie dort soll. In meinem Freundeskreis gibt es das alles. Wie aber ist das im Nahen Osten, wo sich vieles im Verborgenen abspielt?
Als ich in meiner Unterkunft ankomme, logge ich mich ins W-LAN ein und lade die App herunter. Nach nicht einmal vier Stunden habe ich meinen Vorsatz gebrochen. Rekord. Ich wische durch die Profile. Erster Eindruck: viele Expats. Europäer also, die bei internationalen Firmen arbeiten, aber auch Jordanierinnen. Ich sortiere die Profile.
Am nächsten Morgen werde ich früh aus dem Schlaf gerissen. Der Muezzin ruft kurz nach Sonnenaufgang, die Stadt erwacht zum Leben. Ich blicke aufs Smartphone. Mehr als zehn Maches und eine Nachricht. Von Farah. Auf ihrem Profilbild trägt sie lange dunkle Haare und prostet mit einem bunten Getränk in die Kamera. Was ich in Jordanien mache, will sie wissen. Wir schreiben kurz hin und her. Und beschließen, uns abends zu treffen.
Ein Date in der Altstadt
Als es dunkel ist, stehe ich an einer Kreuzung nahe der Altstadt. Plötzlich hupt hinter mir ein Kleinwagen. Sie ist es. Ich bin als Europäer leicht zu erkennen.
Farah begrüßt mich auf Englisch und beginnt zu reden. Über den Verkehr, ihren anstrengenden Arbeitstag. Es sprudelt aus ihr heraus. Wir verstehen uns sofort. Etwas später sitzen wir in einem Restaurant, das kaum gemütlicher ist als ein Schnellimbiss, dafür aber das jordanische Nationalgericht serviert: Mansaf, Lamm in Joghurtsauce.
Warum sie auf Tinder ist, frage ich vorsichtig. Um Freunde kennenzulernen, sagt sie. Mehr nicht. In ihrer Stimme schwingt etwas mit, das ich nicht ganz begreife. Ich schweige.
Nach dem Essen spazieren wir noch lange durch die Straßen. Es ist ein lauer Frühlingsabend. Die Stadt kommt zur Ruhe. Farah und ich umarmen uns zum Abschied. Wir wollen auf Facebook Kontakt halten.
Ein paar Mal schreiben wir uns noch, dann hat mich Farah von ihrer Liste gestrichen. Irgendetwas muss ich missverstanden haben.
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