Kolumne Unter Leuten: In New York, USA
Südamerikanischer Sound aus dem Kellergewölbe: Im Hipster-Bezirk Williamsburg gibt es noch unangepasste Szene-Treffs.
E s stimmt wohl, dass New York ein Abbild der Welt im Kleinen ist. 800 Sprachen werden hier gesprochen. Die Ethnien bleiben aber gerne unter sich. Die Mexikaner leben in Bushwick, die Jamaikaner in Flatbush und die weißen Hipster in Williamsburg. In manchen Straßen aber treffen sie alle aufeinander. So wie in der Driggs Avenue.
Es ist ein Samstagnachmittag, als ich die Straße herunterlaufe. In den Bars gehen die Biere schon gut über die Theke. Gefühlt jeder Zweite trägt Undercut, Kaffeebecher und Jutebeutel. In Richtung der Williamsburg Bridge im Süden aber verändert sich die Nachbarschaft. Junge Hispanics treffen sich mit Motorrädern vor Friseursalons, lassen die Maschinen heulen. Die Hipsterbars verschwinden. An der Ecke South 3rd Street dröhnt südamerikanische Musik aus vollen Rohren. Sie kommt aus einem Kellereingang.
Ich steige die Stufen hinab. Und fühle mich wie in einem David-Lynch-Film. Ein Rentner mit faltigem Gesicht und Schnurrbart sitzt in einem Sessel, inmitten einer Arche Noah des Ramschs. Neben einem Dutzend Waschmaschinen stehen Tische voll blinkender Miniaturweihnachtsbäume aus Kunsttanne und Keramikfiguren. Die Musik aus der Stereoanlage donnert so laut, dass ich meine eigene Stimme nicht verstehe. „Schöne Musik!“, brülle ich.
Der Rentner presst seine Augen zu Schlitzen, als er mich sieht, und dreht leiser. „Ich kann dich nicht hören!“, brüllt er mit einer heiseren, aber überraschend hohen Stimme zurück. Wir kommen ins Plaudern. Seit 25 Jahren lebt er in New York, erzählt der Rentner, eigentlich stammt er aus Puerto Rico. Seine Wohnung liegt im ersten Stock. Seit die Kinder aus dem Haus sind, ist ihm langweilig dort. Im Waschkeller gefällt es ihm besser, sagt er. Hier kommen die Nachbarn vorbei, am Wochenende bringen sie Instrumente mit. Viele sind Hispanics, wie er.
Er lädt mich ein, abends vorbeizuschauen. Ich überlege es mir, sage ich. „War schön, mit dir zu reden!“, ruft er hinterher. Eine Oase im Hipsterbezirk. Williamsburg hat seine charmanten Seiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!