piwik no script img

Kolumne Unser Mann in RoskildeToleranz für alle, yeah!

Zwischen Hot Dog-Bands und Fair-Trade-Imbissbuden geht mit einem Pfeifton in den Ohren ein echtes Lieblingsfestival zu Ende. Sonntag in Roskilde.

Ein Phänomen, das einem auf Festivals häufig begegnet, ist das der Bratwurstbands. Ein richtiges Phänomen ist es streng genommen nicht, eher so etwas wie eine angenehme Begleiterscheinung. Mit den Bratwurstbands verhält es sich nämlich so: Wenn auf einem Rockfestival viele Bands spielen, die man sehen will, und dann auch noch hintereinander, ist das anstrengend. Und weil es dem begeisterten Fan natuerlich wichtiger ist, die Konzerte zu sehen, als sich irgendwo nach etwas Essbarem anzustellen, muss er hungern - zwangsläufig. Eine Bratwurstband kommt einem da sehr gelegen, denn sie ist per Definition (nach dem großen Musikjournalisten Josef Winkler) eher unwichtig, eher nicht so toll. Eine Kapelle, während deren Auftritt man Zeit hätte, eine Bratwurst zu essen. Ohne etwas zu verpassen.

Hier in Dänemark müsste so eine Band ohne Zweifel Hot Dog-Band heißen. Am Sonntag, dem letzten Tag des Festivals, aßen wir Hot Dogs, während Anti-Flag spielten. Die Hot Dogs waren Eins A, und die amerikanischen Polit-Punker entpuppten sich als eine Eins-A-Hot-Dog-Band. Vorher wurde schon gewitzelt: was machen Anti-Flag bloß, wenn George W. Bush nicht mehr US-Präsident ist? Die Antwort: sich in Platitüden verlieren. Während ich in die dicke Wurst biss und mir die Röstzwiebeln schmecken ließ, rief der Sänger zwischen zwei der immer gleichen Punkrockstücken sowas wie: Hey, Roskilde! Es ist egal, welche Hautfarbe ihr habt! Es ist egal, aus welchem Land ihr kommt, welcher Religionsgemeinschaft ihr angehört! Ob ihr gleichgeschlechtlich liebt oder nicht! Ob ihr groß seid oder klein! Das ist heute egal, lasst uns einfach eine gute Zeit haben! Hier und jetzt! Eins zwei drei vier!

Der Hot Dog war zu köstlich, als dass ich zugelassen hätte, dass er mir im Halse stecken blieb. Obwohl das die richtige Reaktion gewesen wäre auf so einen Quatsch. Ja, mein Gott, amerikanischer Punkrocksänger, Du hast ja Recht! Toleranz ist super. Herzlichen Glückwunsch. Aber muss man das Leuten sagen, die inmitten von Bio- und Fair Trade-Imbissbuden stehen, auf einem Festival, an dem es laut Polizeibericht am Wochenende weniger kriminelle Delikte gab als in der Kleinstadt Roskilde nebenan? Und überhaupt, was soll das denn heißen: Heute ist das egal? Ist das dann morgen nicht mehr egal, dass ich evangelisch bin und relativ groß, helle Haut habe mit einem leichten Sonnenbrand im Nacken? Darf dann morgen wieder nach Lust und Laune diskriminiert werden, weil wir ja heute alle eine gute Zeit hatten?

Sich über eine Hot Dog-Band ein bisschen aufzuregen geht schon in Ordnung. Denn das ganze restliche Wochenende über hatte ich tatsächlich "eine gute Zeit". Gestern Abend bei My Bloody Valentine habe ich mich gleich zweimal verliebt. Das erste Mal in die Stimme von Bilinda Butcher, die regungslos die Gitarre spielte und in echt noch viel schöner singt als auf Platte. Es war ein ganz, ganz großartiges Konzert der alten Shoegazer, die tatsächlich fast nur auf ihre Schuhe schauen und sich kaum bewegen - was irgendwie surreal aussieht, denn diese unglaublich energetische, schnelle, intensive Musik mit diesen unfassbaren Feedbackgitarren - die kommt ja von denen, die da stehen, ihre Schuhe anstarren und sich kaum bewegen. Unfassbar.

Der letzte Song mündete dann plötzlich in eine regelrechte Feedback-Lärm-Orgie, die zwanzig Minuten anhielt. Zwanzig Minuten! Und die Band: immer noch regungslos, nur die Hände bearbeiteten die Instrumente, aber ohne Melodien, ohne Harmonien, es war reiner Krach. Die Leute hielten sich die Ohren zu, ich ließ sie offen (und höre immer noch ein leises Piepen). Irgendwann in diesem Lärmgewitter drehte sich das Mädchen, das vor mir stand, zu mir um. Die Hände auf den Ohren sah sie mir in die Augen. Wir lächelten uns an. Eine Sekunde zu lang für ein unverfängliches Lächeln. Als der Krach vorbei war und man hätte miteinander reden können, traute ich mich nicht. Sie verschwand in der Menge. Ich ärgerte mich schwarz. Doch ich sah sie nicht wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!