Kolumne Unbeliebt: Der Kleine und der Große
Hartmut Mehdorn fängt bei Air-Berlin an. Wolfgang Tiefensee gratuliert ihm vom Leipziger Café Tiefensee aus.
D er Politiker Wolfgang Tiefensee - 1,92 Meter groß - ist es gewohnt, herauszuragen. Als Junge gewann er in Leipzig mit dem Cello den Bachpreis, mit 43 erstmals die Wahl zum Oberbürgermeister. 2003 brachte er Leipzig in die Endrunde des Wettbewerbs um die Austragung der Olympischen Spiele, am Tag der Entscheidung saß er wieder mit dem Cello auf der Bühne. Er glänzte.
Ich mochte ihn. Als ich früher in Leipzig wohnte, kämpfte er gegen Naziaufmärsche und führte freundliche Bürgerämter ein. In dieser Zeit war Tiefensee so beliebt, dass es sogar die SPD in Berlin merkte. 2005 machte sie ihn zum Bundesminister, zuständig für Verkehr, Bau, Stadtentwicklung, Aufbau Ost. Drittgrößter Ressortetat, 23.000 Mitarbeiter.
Wir treffen uns in Leipzig, Tiefensee hat das vorgeschlagen, er will zeigen, dass er hier verwurzelt ist, jetzt, wo das Ministeramt schon lange weg ist. Er vertritt Leipzig im Bundestag. Als einfacher Abgeordneter. Sein Wahlkreisbüro ist ein offener Laden mit Tischchen und Stühlen, das "Café Tiefensee". "Man kann hier einfach reinschneien", sagt er. Er wirkt frisch, keine Krawatte, nur ein Hemd mit feinen hellblauen und weißen Streifen.
ist Leiter der sonntaz.
Am zweitem Tag als Verkehrsminister war Hartmut Mehdorn am Telefon, 1,70 Meter. Der kleine Mann rief den großen an, seinen neuen Vorgesetzten. Der Bahn-Chef, erzählt Tiefensee, habe gratuliert und nebenbei gesagt, dass er die Bahn-Zentrale von Berlin nach Hamburg verlegen wolle. Das war der erste, kleine Streit. Danach ging es praktisch ununterbrochen um die Sachfrage, ob die Bahn an die Börse soll. Es ging auch um die Macht von zwei Männern.
Tiefensee eierte zwischen SPD-Linken und den Koalitionspartnern von der Union herum, ihm fehlte eine Hausmacht in der SPD. Mehdorn war geübt darin, permanent Leute gegen sich aufzubringen. Abgeordnete, Verkehrsminister, Millionen Kunden, die auf frostigen Bahnsteigen warteten. Unbeliebt - das war seine Rolle.
Die Kolumne von Georg Löwisch und viele weitere interessante Artikel lesen Sie in der sonntaz vom 3. und 4. September 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Im Gegensatz zu Tiefensee. Er kam nicht zurecht mit den schlechten Schlagzeilen. "Bund ist noch mal ganz anders hart", sagt er. Immer sei es nur um die Bahn gegangen. Nicht um das, was er wirklich geleistet hat! Nord-Ostsee-Kanal-Ertüchtigung: hat niemand interessiert. Wohngelderhöhung: auch nicht. Irgendwie hat der Kleine ihn kleingekriegt.
Tiefensee klingt etwas jammerig, was eigentlich merkwürdig ist, weil er so fit wirkt. Selbst wenn er über die Gegenwart redet, die "ganz neuen Erfahrungen", passt irgendwas nicht. Dann fällt auch noch das Wort "Herausforderung". Mir schwirrt der Name Scharping in den Kopf, dieser sperrige, späte Pubertist.
2009 war es knapp, am Ende hat die SPD ihren Minister doch lieber nicht aus dem Verkehr gezogen. Mehdorn musste weichen. Der Große gewann.
Aber nun, zwei Jahre später, tritt der Verlierer von damals einen neuen Job an: Während Tiefensee im Café Tiefensee sitzt, wird Mehdorn Air-Berlin-Chef.
Ich frage Tiefensee nach Mehdorn. Er nennt ihn halsstarrig und ruppig. Das wirkt verblüffenderweise nicht mehr weinerlich. Eher vergnügt. "Das war nicht ganz so leicht mit dem kleinen Napoleon", sagt er. Air Berlin? "Gratulation! Ich wünsche ihm viel Erfolg. Dass das olle Mehdorn macht!"
Er hat ein schönes spöttisches Lächeln. Die Oberlippe geht dabei hoch, und es wirkt, als könnte er gut auch über sich selbst lächeln. Das stünde ihm glänzend.
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