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Kolumne UnbeliebtDer Nachtfalter

Kolumne
von Georg Löwisch

Was passiert, wenn eine Raupe kein Schmetterling wird? Auf eine Melange mit dem Grünen Volker Ratzmann, heute Kretschmanns Statthalter in Berlin.

D er Rechtsanwalt Volker Ratzmann wollte regieren. Er wollte Projekte erdenken, Interessen vereinen, um dann eine grüne Gestaltungsmacht zu entfalten. Aber es wurde nichts.

Museum für Kommunikation in Berlin, das Café Sarah Wiener, gestreifte Polster auf den Bänken, Veilchen auf den Tischen, aus Lautsprechern schwingt ein Walzer durch den Raum. Von mir abgesehen ist der Raum ganz leer, bis ihn Volker Ratzmann betritt, breitschultrig, wiegender Schritt, freundlich.

Wir kennen uns nicht, obwohl uns zum Beispiel Freiburg verbindet, meine Heimatstadt, wo er Anfang der Achtziger Zivi war und gegen die Räumung des alternativen Zentrums Schwarzwaldhof protestierte. Und obwohl ich ihn in den letzten zehn Jahren oft in den Cafés um die taz herum gesehen habe.

Bild: taz
Georg Löwisch

Der Autor leitet die sonntaz-Redaktion. Seine Kolumne über den Politikbetrieb erscheint in jeder zweiten Ausgabe des taz-Wochenendmagazins sonntaz. Die sonntaz gibt es am Kiosk und auch im Wochenendabo.

Er ist 2001 ins Berliner Landesparlament eingestiegen. Kurz darauf wurde Klaus Wowereit, den Ratzmann Klaus nennt, Regierender Bürgermeister. Ratzmann machte die Grünen zu seiner politischen Familie, seine Frau hat er dort auch gleich kennen gelernt, die Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae.

Grünes Gezischel

Die Jahre vergingen. Ratzmann wurde Grünen-Chef im Abgeordnetenhaus. Er merkte, dass Opposition bedeutet, viel für den Papierkorb zu arbeiten. Wowereit drehte mit der Linkspartei die zweite Runde. Ratzmann öffnete die Grünen nach rechts. Wenn Klaus Rot-Rot macht, dann arbeitet der Volker eben mit den Schwarzen und den Gelben zusammen. Er traf Kammerpräsidenten und Polizeikommissare. Er wurde fünfzig und fragte sich, warum er sich gegen Nazis auf die Straße setzen und von Polizisten wegtragen lassen sollte, die selbst gegen Nazis waren. Bei den Grünen gab es das erste Gezischel.

Ratzmann hat sich Apfelkuchen und eine Melange bestellt. Ein schöner Nachmittag. Er gehört zu den wenigen in der Politik, die gut erzählen können, ohne zu viel zu riskieren. Die meisten Politiker wollen nach Gesprächen Zitate zugemailt bekommen, um sie auf Verfängliches zu untersuchen und dann zu sterilisieren. Es ist, als plapperten diese Leute von sich entzückt in eine Plastiktüte, die sie dann aber zusammenknüllen, so dass die Luft entweicht und in der Tüte nur noch etwas Spucke bleibt. Ratzmann nicht.

Und das ist dann auch wieder schwierig, weil er mir sympathisch wird.

Klingt hässlich, oder? So ein Satz von einem Journalisten über einen Politiker.

Verpuppung

Wir machen es also kurz. Ratzmann war 2011 wie eine Raupe, die sich verpuppt, um sich schon bald in der Regierung zu entfalten wie ein Schmetterling. Künast-Wahlkampf, Verpuppung. Koalitionsverhandlung. Verpuppung. Rot-Grün scheitert, wieder Opposition. Verpuppung. Linke Grüne mucken auf, er wird unbeliebt, ist ja aber schon verpuppt.

Er tritt zurück.

„Befreiend war das“, sagt Volker Ratzmann.

Und dann meldet sich Winfried Kretschmann, der große Schmetterling aus Baden-Württemberg. Er sucht einen Statthalter in Berlin, in der Landesvertretung, Referatsleiter. Und das macht Ratzmann jetzt. Regierung, nicht Papierkorb. Er erzählt bewundernd von einem Kollegen, einem Beamten, der den sogenannten „kleinen Bundesrat“ leitet. Seit dreißig Jahren verhandelt der mit anderen Beamten jene neunzig Prozent der Gesetze, die nie zu den Ministerpräsidenten und Ministern kommen. Niemand kennt ihn, denn er ist ein Nachtfalte.

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9 Kommentare

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  • CB
    Claudia Beiersdorf

    Also ich kann dieses Prenzl. Berg Bashing nicht mehr hören. Ich bin selbst "Öko-Mutti" aus Schwaben und ich fühle mich hier sehr sehr wohl. Ich finde, dass sich der Stadtteil sehr positiv verändert hat. Es ist hier eben vielleicht nicht mehr ganz so "großstädtisch" wie vor einigen Jahren. Na und, wer könnte etwas dagegen haben, das es jetzt etwas ruhiger ist??? Ist ein Stadtteil nur schlecht, weil es dort keine Galerien und Clubs mehr gibt??? Wohl kaum! Wem es nicht passt, vor allem, wem wir nicht passen - der zieht eben weg. Ganz einfach. Und gerade "Künstlern" schadet es wohl kaum, in Bewegung zu bleiben.

  • W
    Wertkonservativliberaler

    Zitat: "Und dann meldet sich Winfried Kretschmann, der große Schmetterling aus Baden-Württemberg. Er sucht einen Statthalter in Berlin, in der Landesvertretung, Referatsleiter."

     

    Wow, der meldet sich einfach so? So ganz spontan, aus heiterem Himmel? Da hat Herr Ratzmann - seine Ehefrau ist MdB aus einem BW-Wahlkreis - nicht vorsichtig die Fühler ausgestreckt, ein bißchen genetzwerkelt und geseilschaftet, nach so einer hübschen Stelle eines höheren Beamten?

     

    So als Rechtsanwalt weiterarbeiten, ist halt ein hartes Brot.

     

    So einen Anruf möchte ich auch mal kriegen.

  • S
    silke_bischoff

    Haha, ja! Ich sehe auch zunehmend Touristen völlig ratlos z. B. durch die Kastanienallee laufen, die das lt. Touristenführer wilde und bunte Prenzlauer Berg suchen.

    Wahrscheinlich werden Touristenführer schon bald geändert und es wird dort das vergleichsweise ausgeflippte Charlottenburg empfohlen. LOL

  • PM
    peter martenstein

    Ich fand die Nr. von Ratzmann hier in P Berg auch unmöglich. Ich bin sicher kein Freund des des Berliner SPD Filz, aber er hatte hier ja denkbar knapp gegen severin höhmann gewonnen, der hier lokal richtig was stemmen wollte.

    ich bin auch der überzeugung, dass die grünen hier am niedergang p bergs vom "künstlerbezirk" zur südwestdeutschen kleinstadt, wo abends um 20 uhr die bürgersteige hochgeklappt werden, maßgeblichen anteil haben. die grünen sind für mich seit langem unwählbar, weil selbstgerecht & öko-borniert; und dafür ist herr ratzmann leider auch ein ganz gutes beispiel.

  • FN
    Frank Naber

    Da muss ich leider etwas ergänzen - Herr Ratzmann hatte hier in Berlin Prenzlauer Berg in 2011 einen außerordentlich personenbezogenen Wahlkampf gemacht und gewonnen, obwohl die Grünen hier wegen ihrer streng provinziellen politik immer mehr Zustimmung verlieren. Dann wurde es bekanntlich nix mit Regieren, Ratzmann hätte im abgeordnetenhaus nur "normaler" abgeordneter sein können.

    das war ihm nicht gut genug. er schmiss unmittelbar hin, trotz frischen mandats der wähler. verantwortung sieht anders aus.

  • K
    ökosozial

    Herr Ratzmann hat auch im schlecht gemachten über 1 Mio. Euro teuren Künast-Wahlkampf (!) gemeinsam mit Frau Künast die Partei B90/DIE GRÜNEN nach rechts geöffnet. Richtung Koalitionswusch mit der CDU.

     

    Die WählerInnen fanden das mehrheitlich total daneben. Genauso wie den seltsamen "Mitsprache"-online-Wahlkampf, bei dem BürgerInnen z.T. bis heute keine Antworten auf ihre Fragen von den "grünen FachpolitikerInnen" bekommen haben:

     

    http://www.freitag.de/community/blogs/lila-lueftchen/berliner-gruene-im-online-krampf

  • S
    saalbert

    "Niemand kennt ihn, denn er ist ein Nachtfalte." - Irgendwie ist kurz vor dem Schluss die Puste ausgegangen, oder?

    Klar, immer wieder der dumme Spruch: "Opposition ist Mist." Wenn mensch so gestrickt ist wie Müntefering und offensichtlich auch Ratzmann. Die Opposition ist - wie an allen autoritären Regimen zu beobachten ist, weil sie dort fehlt - der wichtigere Teil der Demokratie, ihre Hefe, ihr Ferment. Regieren kann jeder Trottel, wie überall auf der Erde zu besichtigen ist. Aber eine Opposition, die etwas erreicht, muss gut sein. Und zwar nicht nur im Parlament, sondern politisch, in der Gesellschaft. Dass es bei den sogenannten Grünen daran hapert, haben sie Fischer und Konsorten zu verdanken, die nichts anderes im Kopf hatten, als Schröder zu liebedienern, mit ihm gegen Serbien in den Krieg zu ziehen und innenpolitisch gegen die Armen - Arm in Arm mit einem rechtskräftig verurteilten Straftäter.

  • V
    vic

    "Ratzmann öffnete die Grünen nach rechts."

    Aha, der war das.

    Auch ein Verdienst, wenn man so will...

  • R
    rheinelbe

    Die Angepassten

     

    Längst total angepasst sind die Grünen, auf noch mehr Bürokratie und Abgaben aus. Eine Partei, die gerne mal gängelt und unaufgefordert den moralischen Zeigefinger in die Höhe reckt. Gutmenschentum wird hier immer noch gepflegt mit dem Anspruch des besseren Wissens. Das endet natürlich in Vorschriftenmacherei.