Kolumne Trends und Demut: Entdecken! Retten! Schützen!
Die Briten stärken mit Spielzeugsoldaten den Kampfmut – und Prinz Harry geht es wie der Kreditkarte aus dem Hause Barclay.
V ergangene Woche war ich bei einer Grundschulaufführung. Das Stück war vorbei, und die Direktorin fragte erwartungsvoll in die Runde: Und was dürft ihr keinesfalls vergessen? Daraufhin zerknautschten sich 150 gerade noch sanft grinsende Babygesichter in garstige Visagen, und durch die Halle ging ein kollektiver Schlachtruf: Catch it! Kill it! Bin it! Fang es! Töte es! Entsorge es! Ich bekam Angst. Saß ich inmitten der Proben für Ron Jones "Welle"?
Viel prekärer! Ich war naiv dem schlauen britischen Marketing in die Falle gestolpert. Denn dieser vom Gesundheitswesen entwickelte Spruch zur hysterischen Grippeprävention bringt den noch so coolen Schüler dazu, sein vollgerotztes Tempotuch ordentlich zu entsorgen.
In einer deutschen Aula wäre das Ganze zur pädagogischen Schnarchnummer geworden. Liebe Kinder, bitte die Tempos immer in den Müll! Britische Kinder dagegen mutieren durch diesen militärischen Imperativ zu Actionhelden. Seitdem bemerke ich diesen Kasernenton überall. Im Kinderprogramm der BBC, wo die süßen Comic-Helden "Octonauts" mit sich überschlagender Stimme das Titelmotto grölen: Explore! Rescue! Protect! Kinder schauen sich das an, schlürfen ahnungslos ihre Vanillemilch und lernen ganz nebenbei, dass Begriffe wie "retten" und "beschützen" genauso wichtig sind wie "rechnen" oder "Bettgehzeit".
Panik, verpackt in Brot und Spiele. Selbst die britische Barclays Bank wirbt derzeit für ihren bombensicheren Schutz gegen Kreditkartenbetrug mit frühkindlichen Machtfantasien. Böse Kriminelle aus der ganzen Welt bedrohen die guten (tief verschuldeten) Konten argloser britischer Bürger! Und um zu demonstrieren, wie sicher unser Geld bei Barclays ist, gruppieren sich in der aktuellen Werbekampagne hunderte von Spielzeugsoldaten schützend um die bedrohte Kreditkarte.
JULIA GROSSE ist Kulturreporterin der taz und wohnt in London.
Was soll hier vermittelt werden? Das britische Militär wird's am Ende schon richten? Catch it! Kill it! Bin it! Mit Schießgewehr in den Kampf gegen Kredit-Armageddon, Blitzkriegbetrüger, Dispo-Diebe? Vor allem unterstreicht die Kampagne unmissverständlich den Glauben der Briten an "their boys".
Und jetzt wurde auch noch in den Medien vermeldet, dass einer ganz besonders ungeduldig auf die Verteidigung des britischen Königreichs wartet: Prinz Harry darf wahrscheinlich wieder an die Front! Taliban jagen in Afghanistan, seine Oma hat auch schon zugesagt. Also los, kleiner Royal! Dein Bruder verliert Haare, doch du stehst voll im eigenen Saft. Explore! Rescue! Protect! Dabei wirkt sein geplanter Aufenthalt eher wie eine persönliche Traumerfüllung, ein Ticket raus aus der Monarchie-Tristesse aus meterhohem Biskuitkuchen und stocksteifen Pflichtveranstaltungen.
Vor Ort in Afghanistan bedeutet seine Anwesenheit dagegen vor allem Stress für alle anderen, denn er ist natürlich ein beliebtes Angriffsziel. Prinz Harry geht es im Grunde also wie der bedrohten britischen Kreditkarte aus der Barclays-Anzeige: irgendwie was wert und beschützt von einer Armee aus Soldaten.
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