Kolumne Trends und Demut: Zum Dahinschmelzen
Was interessiert die Metalldiebe die Kunstgeschichte?
D as Kunstmonster steht. 1.400 Tonnen Stahl, gespendet vom reichsten Mann Großbritanniens und Vorsitzenden des Stahlkonzerns ArcelorMittal, Lakshmi Mittal. Der "ArcelorMittal Orbit"-Turm, Londons enormstes Skulpturenprojekt und zukünftiges Symbol der Olympischen Spiele, schraubt sich feuerrot 115 Meter in die Höhe und macht die humorfreudigen Briten erfinderisch. Diese Skulptur sähe aus wie die DNA eines Kampfhundes, mindestens aber wie eine genmanipulierte Achterbahn des Grauens!
Maître hinter diesem alles andere als dezenten Gebilde ist wenig überraschend der britische Künstler Anish Kapoor. Denn Spektakel beginnt für Kapoor in der Regel bei der Größe. Schiere Ausmaße. Gigantische Dimensionen. Hunderte von Quadratmetern, die sich behäbig in Höhe und Breite ausdehnen, so als sei Raum keine abstrakte Größe, sondern ein Jugendzimmer, das es einzurichten gilt. Geld? Spielt keine Rolle, und überhaupt ist the sky the limit!
Kapoor hatte beim Entwerfen auch den Turm zu Babel im Sinn – es bleibt zu hoffen, dass dem "Orbit" nicht das gleiche Schicksal blüht wie dem einstürzenden Bauwerk aus der biblischen Erzählung: Denn Metallräuber-Gangs sind am Werk! Großbritannien wird Stück für Stück auseinandergenommen, kreischte die Financial Times kürzlich.
ist taz-Kulturkorrespondentin in London.
Doch der olympische Turm ist uninteressant, denn es ist nicht Stahl, weswegen Räuber in England immer ungenierter mit professionellem Gerät Kirchendächer, Kriegsdenkmäler und Schienennetze plündern. Begehrt sind vor allem Bronze, Kupfer oder Messing, die größtenteils ins Ausland verkauft werden. Allein die Kupferpreise sind seit 2001 um 400 Prozent gestiegen.
Während Kapoors "Orbit" also unangetastet und brandneu in die Landschaft ragt, ist nun am anderen Ende der Stadt eine deutlich dezentere Skulptur, gerade einmal zwei Meter hoch, spurlos aus einem großen Londoner Park verschwunden. Es ist eine bekannte Bronzearbeit der bedeutenden britischen Bildhauerin Barbara Hepworth aus dem Jahre 1969. Londoner Kunsthistoriker jammern, wer die Skulptur findet, kassiert 1000 Pfund Finderlohn! Schon jetzt ist der Polizei klar, dass das zweiteilige, rundlich geformte Werk in keinem Vorgarten vermögender Sammler irgendwo in einer boomenden Industrienation landen wird, sondern in der Metallschmelzerei!
Ein vierzig Jahre altes, wertvolles Kunstwerk, im Nu verflüssigt, weil die Metallpreise so stark angezogen sind. Vor diesem Hintergrund landet die Hepworth-Arbeit dann ja vielleicht doch noch im Garten eines ahnungslosen Milliardär-Kunstsammlers. Liebevoll verarbeitet zu einem verspielten Gartenzaun.
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