Kolumne Stiefel mit Absatz: Bissiges für Mädchen
"Bis(s) zum Morgengrauen" ist trivialer Mädchenkram? Warum ich trotzdem nicht aufhören kann zu lesen.
"Ergh, das ist ja für Mädchen!" sagte mein Mann neulich neben mir im Bett und schob mir das neue Buch, in dem er gerade ein paar Seiten gelesen hatte, rüber. Ich legte meine eigene Lektüre beiseite. "Da zieht ein Mädchen von der Mutter zum Vater und die reden die ganze Zeit im Auto. Später geht’s dann wohl um Vampire." Unzumutbar. Ich guckte auf den Buchdeckel. Der Name Stephenie Meyer kam mir von der Bestsellerliste bekannt vor, der englische Titel "Twilight" zunächst nicht. Etwas zerknirscht gab mein Mann schließlich zu, sich das Buch auf die Empfehlung eines der Moderatoren des Star Wars-Podcasts bestellt zu haben. Der sei total süchtig danach.
Jetzt fiel mir ein, dass meine Schwester mir vor längerer Zeit in der Sauna erzählte, sie sei zur Zeit ständig müde, denn sie lese gerade die "Bis(s)-Bücher", das sei so spannend, sie sei jetzt schon beim dritten Band. Außerdem könne sie damit endlich mal ihre romantische Ader befriedigen, für die ihr Mann so gar keinen Sinn habe. Es handele sich um die Liebesgeschichte zwischen einem Highschool-Mädchen und einem Vampir. Und der Vampir muss ständig das Mädchen retten, vor sich, vor seinesgleichen und Werwölfen, und vor ihrer eigenen Tollpatschigkeit. Soso. Mein Interesse war, nett ausgedrückt, nicht geweckt.
Julia Niemann ist taz.de-Redakteurin und schreibt online die Kolumne "Stiefel mit Absatz - Erlesenes aus der Schusterei Bestseller" .
Und nun hielt ich also plötzlich den ersten Band dieser Pubertätsvampirgeschichten in der Hand. Die ersten Seiten waren tatsächlich unfassbar albern, und während der nächsten Stunden und Tage fühlte ich mich ständig wie eine Zwölfjährige, die einen Groschen-Roman liest - so banal, geschwätzig und redundant sind die Phrasen, mit denen Meyer Seite um Seite füllt und dabei die Handlung minimal vorantreibt. Übrigens saß mir in der S-Bahn tatsächlich eine Zwölfjährige mit dem gleichen Buch in der Hand gegenüber. Aber an Aufhören war nicht zu denken.
Ebenso wie die 16-jährige Heldin Bella war ich sofort von dem schönen Edward Cullen und seiner Vampir-Familie fasziniert. Die große unmögliche und dennoch bedingungslose Liebe zwischen den beiden Teenagern, die, manchmal seitenlangen, Beschreibungen von Gemütszuständen des postpubertierenden Mädchens sind ebenso authentisch wie anrührend und nervtötend. Zwischen ein paar spannenden Wendungen in der Geschichte fühlte ich mich über viele Stunden wie am Telefon mit einem 16-jährigen Mädchen. Sie will so ein bisschen etwas besonderes sein und sich eine Spur von den anderen durchschnittlichen amerikanischen Highschoolmädchen unterscheiden. Da liegt es nahe, dass sie sich in den schönen, geheimnisvollen Außenseiter verliebt, und ab dann erzählt sie mir minutiös alles was zwischen ihr und ihm vorfällt: "Dann hat er … gesagt und ich dachte, er meint …, und dann ich so … und er guckt so süß und ich so…aber dann war er voll sauer, weil…"
Und so geht es immerfort. Man kann Meyer mit Fug und Recht Trivialität vorwerfen, aber sie hat eine große Nähe zu ihren prägnanten Charakteren, sodass ich, so grotesk es ist, mit ihnen fühle und leide, egal wie vorhersehbar und reaktionär die Geschichte letztendlich ist. Inzwischen habe ich Band eins, "Bis(s) zum Morgengrauen", Band zwei "Bis(s) zur Mittagsstunde" und Band drei "Bis(s) zum Abendrot" gelesen, die ersten beiden noch auf Englisch, den dritten dann auf Deutsch, meine Schwester hat mich freundlicher Weise versorgt.
Jetzt ist auch noch die Verfilmung des ersten Teils in den USA angelaufen und hat - erwartungsgemäß - abgeräumt. In der Hauptrolle des "Romeos" Edward Cullen: Robert Pattinson, der bezeichnender Weise schon in der Serien-Bestsellerverfilmung Harry Potter den vom Bösewicht Voldemort ermorderten Cedric Diggory spielte. Beide Filme haben eine breite, altersübergreifende Leserfangemeinde, die allein schon für Rekordzahlen an den Kinokassen sorgt. Für die deutschen Fans wirds leider nichts mit einem vorweihnachtlichen "Nackenbeißer" - hier läuft der Film erst im Januar an.
Neulich traf ich einen Kollegen in der S-Bahn und wir gingen ein Stück gemeinsam. Ich war nicht sehr gesprächig. Weil ich bis halb drei gelesen hatte. Auf seine Frage, was mich denn wach gehalten hätte, sagte ich verschämt: Ach, so eine Teenie-Vampir-Lovestory. "Dachte ich mir, meine Freundin liest das auch gerade", war seine verständnisvolle Antwort. Band vier "Breaking dawn / Bis(s) zum Ende der Nacht" steht jetzt noch aus, über 700 Seiten – na dann Gute Nacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Musks AfD-Wahlempfehlung in der „Welt“
Rocky Horror Springer Show
Problematischer Vorstoß der CDU
Stigma statt Sicherheit
Kleinparteien vor der Bundestagswahl
Volt setzt auf die U30
Reichtum in Deutschland
Geldvermögen auf 9,3 Billionen Euro gestiegen
Mögliches Ende des Ukrainekriegs
Frieden könnte machbar sein
Silvester in Berlin
Kein Ärger in Verbotszonen