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Kolumne PressschlagWie aus Fohlen Tiger werden

Bernd Müllender
Kolumne
von Bernd Müllender

Borussia Mönchengladbach steht kurz vor dem Abstieg. Kann Coach Favre noch Impulse setzen oder vielleicht doch der revolutionäre Kandidat Effenberg?

G LADBACH taz Borussia spielt eine seltsame Saison: Nach dem spektakulären 6:3 in Leverkusen an Spieltag zwo ging es schnell in den Keller. Man erklärte sich für seriös und hielt lange an Coach Michael Frontzeck fest. Dann kam im Februar als gefühlt 183. Trainer nach Weisweiler der Schweizer Lucien Favre mit seinem putzigen Frankodeutsch und der Aura des Hertha-Meuchlers.

Ausgerechnet der soll Abstiegskampf können? Und schon gelang der erste Heimsieg (Spieltag 23!). Vorher hatten die frustrierten Vereinsfreunde gehofft, vielleicht Teil einer innovativen Versuchsanordnung zu sein: Ob Klassenerhalt ohne Heimsieg möglich ist?

Acht Platzverweise sind Ligaspitze. Allein ihre Mittelstürmer! Bobadilla, de Camargo, Idrissou und Hanke sahen alle Rot. Dazu kam Dantes Inferno gegen Stuttgart: Gelb-Rot und Elfmeterfoul in der Nachspielzeit, Konkurrent Stuttgart gewann noch 3:2 nach 0:2 Rückstand. Kuriositätenkönig wurde Logan Bailly. Gegen Kaiserslautern gelang dem Torwart zum entscheidenden 0:1 ein Einhandpatscher ins eigene Tor, den man keinem Kreisligakeeper zugetraut hätte. Nachher wollten die Fans die Tat nur mit Baillys möglicher Nähe zur belgischen Wettmafia erklären.

Bernd Müllender

BERND MüLLENDER schreibt für die Sport-Redaktion der taz.

Lucien Favre hat eine passable Punktausbeute (13 aus 9 Spielen) - allein noch in der Verlosung zu sein, ist beachtlich. Ein paar Dinge hat er geändert, etwa den wenig mannschaftsdienlichen Idrissou aus dem offensiven Mittelfeld ins Sturmzentrum oder auf die Bank zu platzieren. Und Tobias Levels, dem lustigen aber technisch limitierten Publikumsliebling, hat er die Einsatzgarantie entzogen. Insgesamt wurde das Spiel defensiver, die Zeit der Frontzeckschen Gegentorfabrik ist vorbei.

Dem Klub geht es gut, abgesehen von der Erfolglosigkeit. Zuschauer: 45.000, deutlich über Ligaschnitt, das Stadion ist zu 85 Prozent ausgelastet. Finanziell: vergleichsweise gesund. Die Führungsmannschaft: integer und gut aufgestellt. Sagt man. Auffallend war in den vergangenen Jahren nur, dass die Saisonplanung sehr früh abgeschlossen war. Die einen sagen: beizeiten die richtigen Einkäufe. Andere: Panikshopping ohne Muße zum Pokern, deshalb musste Winter für Winter teuer nachverpflichtet werden.

Von solchen Mutmaßungen nährt sich die neue "Initiative Borussia". Die Oppositionellenbewegung ("Anhänger mit starker Vernetzung in der Wirtschaft") will eine neue Satzung und sich Ende Mai, eventuell mit Horst Köppel vorneweg, an die Macht wählen lassen. Neuer Sportdirektor soll Stefan Effenberg werden. Der grätschte am Dienstag in die neue Rettungseuphorie nach dem Sieg gegen Dortmund, was nicht eben zur Ruhe beitrug. Handschriftlich ließ er "alle, die die Borussenraute im Herzen tragen" wissen, er wolle eine "Umstrukturierung des Kaders", mehr Professionalität, mehr "Spaß und Freude". Es sei, ließ der Berufseinsteiger wissen, für ihn "eine Herzensangelegenheit", Grüße: "Euer Effe". Der Express sieht eine "Revolution in Gladbach" und fragt: "Macht Effe aus Fohlen Tiger?" Der Dachverband der Borussiafans distanzierte sich schon. Vorstand und Opposition beschimpfen sich. Zumindest werden dafür keine Punkte abgezogen.

Für Platz 16, die letzte Chance auf Rettung, braucht es vermutlich mindestens sieben Punkte. Klingt fast unlösbar. Nach dem Coup gegen den Baldmeister BVB steht heute in Hannover die nächste der letzten Chancen an. "Hannover ist sehr schwer zu spielen und sehr gefährlich", sagt Lucien Favre, "aber egal - wir müssen punkten." Womöglich folgt sogar der Clou schlechthin: Borussia rettet sich, und Erzfeind Köln strudelt noch in den Abgrund.

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Bernd Müllender
Sohn des Ruhrgebiets, Jahrgang 1956, erfolgreich abgebrochenes VWL- und Publizistikstudium, schreibe seit 1984 für die taz – über Fußball, Golf, Hambacher Wald, Verkehrspolitik, mein heimliches Lieblingsland Belgien und andere wichtige Dinge. Lebe und arbeite als leidenschaftlich autoloser Radfahrer in Aachen. Seit 2021 organisiere und begleite ich taz-LeserInnenreisen hierher in die Euregio Maas/Rhein, in die Nordeifel und nach Belgien inkl. Brüssel. Bücher zuletzt: "Die Zahl 38.185" - Ein Fahrradroman zur Verkehrswende (2021). "Ach, Aachen!" - Textsammlung aus einer manchmal seltsamen Stadt (2022).
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1 Kommentar

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  • S
    steff

    Mönchengladbach ist doch an Biederkeit kaum zu überbieten. Der Verein ist ein einziger Anachronismus. Einer dieser austauschbaren Durchschnittsvereine, der seit mindestens 15 Jahren trotz viel Geld und toller Ressourcen kaum was auf die Reihe bekommt. Der Bonus aus ihrer ruhmreichen Vergangenheit dürfte langsam auch aufgebraucht sein. Mittlerweile wurden sie doch auch von Vereinen wie Mainz und Hannover längst überholt. Es ist schon erstaunlich, wie dort aus den guten Bedingungen Jahr für Jahr nichts gemacht wird. So mausgrau und langweilig wie der Sportdirektor Max Eberl den Verein repräsentiert, so spielt auch die Mannschaft. Wird Zeit, dass sich ehemalige Größen mehr ins Geschehen einmischen. Schlechter können es auch Effenberg, Köppel und Co. nicht machen. Einen Versuch wäre es allemal wert, viel schlimmer kann es für die Borussia ja eh nicht werden als momentan.