Dortmund ist Deutscher Meister: Elf Freunde für ein Jahr
Nach Dortmunds Titelgewinn fällt es den Verantwortlichen schwer, sich der Euphorie hinzugeben. Es ist spürbar, dass etwas Einmaliges zu Ende geht.
DORTMUND taz | Als es am späten Samstagnachmittag endlich so weit war, da staunten die Väter der Deutschen Meisterschaft von Borussia Dortmund. Natürlich hatten Trainer Jürgen Klopp und Präsident Reinhard Rauball fest damit gerechnet, dass der Titel an irgendeinem Samstag dieses Frühjahrs nach Dortmund gehen würde, sie hatten überlegt, was in diesem Moment wohl passieren würde, und als es nach dem 2:0 gegen den 1. FC Nürnberg so weit war, merkten sie erst, unter welch einem Druck sie gestanden hatten. "Es fühlt sich anders an, als ich erwartet hätte, es ist viel mehr Erleichterung als Euphorie", sagte Jürgen Klopp.
Natürlich machte er mit bei den Spielchen der Fußballer, die mit Bier herumspritzten und mit Meisterschalen aus Pappe herumfuchtelten, doch der 43-jährige Trainer, der in anderen Situationen ausflippen kann wie ein Wahnsinniger, blieb irgendwie nachdenklich. Auch Präsident Reinhard Rauball freute sich eher still, die Männer umarmten sich, klopften auf Schultern und ließen ihre Blicke bedächtig durch die entfesselt feiernde Arena schweifen.
Irgendwann wollte Klopp zu seiner Familie, während Rauball die Stirn in Falten legte und an die schweren Wochen der Finanzkrise erinnerte, die den BVB vor sechs Jahren beinahe in den Ruin getrieben hätte. Der Paradigmenwechsel nach den Jahren des enthemmten Schuldenmachens gilt als Geburtsstunde dieser neuen Dortmunder, die nun "der verdienteste Deutsche Meister sind, den es seit vielen, vielen Jahren gab", wie der Mainzer Manager Christian Heidel aus der Ferne treffend formulierte.
Furcht, dass das Böse im Spiel gewinnt
Doch gerade weil der Meistertitel des Jahres 2011 so glasklar nur an den BVB gehen konnte, hatte Klopp sich ein wenig davor gefürchtet, dass irgendwie doch das Böse im Spiel gewinnt und einen anderen Meister bestimmt. "Man stelle sich vor, diese Spieler wären nicht maximal belohnt worden, das hätte ja alle Gesetzmäßigkeiten des Sports konterkariert", sagte Klopp im Moment des Triumphes. Doch für diese Katastrophe waren die Dortmunder dann doch zu stabil. "Wir haben allen Drucksituationen standgehalten, sind immer wieder zurückgekommen, es ist Wahnsinn, was diese Mannschaft geleistet hat", meinte Klopp.
Allerdings hätte auch an diesem Tag durchaus noch einmal einiges schiefgehen können. Nürnberg war eine halbe Stunde lang die bessere Mannschaft gewesen, doch nachdem die Dortmunder in den zurückliegenden Wochen Punkte verschenkten, weil sie ihre vielen Chancen nicht nutzten, spielten sie nun weniger überzeugend, dafür aber umso effizienter. Diese Facette, die ein Meister eigentlich zwingend im Repertoire haben muss, die diesen jungen Dortmundern aber oftmals fehlte, hat dem Team diesen letzten Sieg beschert. "Das ist die größte Leistung einer Mannschaft in der Geschichte von Borussia Dortmund", fasste Sportdirektor Michael Zorc ein unglaubliches Jahr zusammen und stellte den Erfolg damit über den Gewinn der Champions League von 1997.
Die Spieler hatten im Moment der Ekstase nur wenig am Hut mit derlei Analysen, eine Stunde lang feierten sie ein wunderbares Fest vor der Südtribüne. Und Kevin Großkreutz, der Mittelfeldspieler aus Dortmund-Eving, der selbst noch regelmäßig als Fan ins Stadion ging, bevor er auf dem Rasen gebraucht wurde, jagte seinem schwer erleichterten Trainer noch einen letzten kleinen Schrecken ein. "Ach du Scheiße, der sieht ja aus wie ein Außerirdischer", meinte Klopp, als er auf einem Bildschirm sah, dass ein Großteil von Großkreutz langen Haaren abrasiert worden war.
Spät am Abend traf die Mannschaft sich beim Edelitaliener Piazza Navona in der Gartenstadt, es war friedlich und sympathisch, wie fast alles, was in dieser Saison im Umfeld von Borussia Dortmund passiert ist. Und vielleicht waren Klopp und Rauball ja auch so nachdenklich, weil sie ahnen, dass etwas ganz Besonderes, mit diesem Titelgewinn eine einmalig schöne Saison zu Ende geht. Denn dieser Traum vom attraktiven Fußball mit jungen Spielern, die auch noch elf Freunde sind, den träumen all die Millionen Fußballteams in allen Ländern und in allen Ligen dieser Welt. In Dortmund ist er in Erfüllung gegangen, und er hat ein ganzes Jahr gehalten. Das haben wahrlich noch nicht viele Fußballmannschaften geschafft. Chapeau.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus