Kolumne Politik von unten: No-go-Area
Ich bin keine weiße Deutsche. Das reicht, um mich in Gefahr zu bringen. Sogar in einem Landgericht.
I ch bin keine Muslimin, keine Ägypterin und keine Apothekerin. Auf den ersten Blick habe ich nicht viel gemeinsam mit Marwa El Sherbini. Aber der Mord an ihr hat mich hart getroffen, und das Thema ist für mich noch lange nicht abgehakt.
Ich warte nämlich darauf, dass Angela Merkel sich bei mir entschuldigt. Für die Bedingungen, die es Alexander W. möglich gemacht haben, eine Kopftuch tragende Muslimin ganz selbstverständlich zu beschimpfen, und dafür, dass eine Frau aus rassistischen Gründen ermordet werden kann, ohne dass ein Aufschrei durch Presse und Politik geht. Das ist nur möglich in der rassistischen und islamophoben Atmosphäre, die von Politik und Medien in diesem Lande geduldet, ja gefördert wird.
Unter diesen Bedingungen lebe ich ebenfalls - nicht weniger gefährdet als die Ermordete. Ich bin keine weiße Deutsche. Und das reicht. Es gibt Orte und Landstriche, wo meine körperliche Unversehrtheit nicht gewährleistet ist, genauer gesagt, wo der Staat sich nicht die Mühe macht, sie zu schützen. Ich mag zum Beispiel bizarre Berge, ich würde gerne mal in die Sächsische Schweiz, aber das wäre ein idiotisches Unterfangen mit meiner Hautfarbe. Bisher dachte ich, nur der Besuch sächsischer Dörfer könnte gefährlich sein. Aber nein, das gilt offenbar auch für das Landgericht Dresden. Der deutsche Staat kann seine nichtweißen Einwohner nicht einmal im Gerichtssaal vor Nazis schützen?!
Dieser Text ist Teil der Sonntaz-Ausgabe vom 22./23. August - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
Ein Detail ist für mich besonders entlarvend: Als El Sherbinis Mann ihr zu Hilfe eilte, wurde er von einem Polizisten niedergeschossen. Klar, wenn ein Weißer und ein Araber miteinander kämpfen, dann schießt ein aufrechter deutscher Beamter natürlich sofort auf den Araber.
Gewalt wird hier auf drei Ebenen ausgeübt: einmal der Mord an sich. 18 Messerstiche. Dann der unterschwellige Rassismus in diesem Land, der solche Morde - und den Schuss - überhaupt erst möglich macht. Und die Metaebene: Das Ganze wird ins Ausland verlagert - der Mörder sei eigentlich ein Russlanddeutscher (eine Art Ausländer) und das Opfer sowieso eine Ausländerin. Irgendwie hat der Mord nicht so richtig was mit Deutschland zu tun. Hier, in diesem Land, muss also gar nichts unternommen werden. Entschuldigt hat sich Frau Merkel nur bei den Ägyptern.
Das ist eine Unverschämtheit. Was ist denn mit uns, allen anderen schwarzen Deutschen und People of Color, die wir hier leben? Die wir Tag für Tag mit Rassismus zu kämpfen haben; die wir versuchen, aufklärend und positiv auf unsere Umgebung einzuwirken, und die wir jetzt feststellen, dass für Marwa El Sherbini selbst das Landgericht eine No-go-Area war? Doch kein Politiker zieht Konsequenzen aus diesem Mord oder aus den weiteren mehr als hundert rassistisch motivierten Morden, die seit der Wiedervereinigung verübt wurden. Jeder Mörder wird zum "Einzeltäter" erklärt, jede Tat zur "Einzeltat". Und wenn alle diese Morde lediglich Einzeltaten von verrückten Einzeltätern sind - tja, dann braucht man auch gar nichts dagegen zu tun.
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