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Kolumne Politik von ObenDas verschmähte Medium

Kolumne
von Ralph Bollmann

Politiker finden das Fernsehen unglaublich wichtig - und schauen selbst kaum hin. Ein Fall von Abgehobenheit? Schlimmer. Das ist Wählerverachtung.

Politiker nutzen das Fernsehen gerne als Bühne, wie hier Angela Merkel. Ihr wurde bei Maybrit Illner eine Sondersendung eingeräumt. Bild: ap

L ange habe ich gedacht, ich bin der Einzige. Bild, BamS, Glotze seien die Leitmedien des politischen Berlins, hatte ein früherer Bundeskanzler mal behauptet. Seitdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. Müsste ich nicht öfter mal in die Zeitung schauen, deren unübersichtliches Layout meine Konzentrationsfähigkeit stets überfordert? Sollte ich mir einen Alarm auf das Handy legen, damit ich vom abendlichen Hintergrundgespräch pünktlich zu den Tagesthemen eilen kann? Oder gar den freien Abend opfern, um ihn einsam im stillen Kämmerlein mit Frank Plasberg zu verbringen?

Was die Bild-Zeitung betrifft, trug ich meine Skrupel zu Recht mit mir herum. Die liest hier wirklich jeder. Aber Fernsehen? Auf die drei Stunden, die ein Durchschnittsdeutscher vor dem Bildschirm sitzt, kommt im Regierungsviertel keiner. Dass Parteipolitiker oder Journalistenkollegen, die man zur besten Sendezeit auf Terminen trifft, im selben Augenblick nicht fernsehen können - das ist eigentlich ganz offensichtlich. Aber die Bedeutung, die ebendiese Leute dem von ihnen verschmähten Medium zumaßen, versperrte mir lange den Blick auf die nahe liegende Erkenntnis.

Im Zusammenhang mit Dienstfahrzeugen und Arbeitsessen war zuletzt oft zu hören, der Berliner Politikbetrieb sei "abgehoben". Das war eine richtige Feststellung, aber mit falscher Begründung. Die Liebe zum Auto teilen die Politiker mit ihren Wählern, unter denen zugleich der Anteil derer wächst, die einen guten Wein von einem schlechten zu unterscheiden wissen - wie der zitierte Kanzler zu sagen pflegte. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass Politiker kaum fernsehen.

Bild: taz

Dieser Text ist der aktuellen sonntaz vom 29./30.8.2009 entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Das erklärt vieles. Zum Beispiel die Selbstgewissheit, mit der Politiker aller Parteien vor laufender Fernsehkamera stundenlang Wahlkampfstanzen von sich geben, die sie als Zuschauer nicht fünf Minuten lang ertragen könnten. Die Konsequenz, mit der sie beim Aufleuchten der roten Lampe jeden originellen Gedanken aus ihren Auslassungen verbannen. "Abgehoben" ist dafür ein viel zu harmloser Ausdruck. Eher spricht daraus die Verachtung der Politiker gegenüber all jenen, die mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen wissen, als sich im Fernsehen Politiker anzuschauen.

Vermutlich war das der eigentliche Kern der Empörung über die Abendgesellschaft im Kanzleramt: dass die 25 geladenen Gäste nicht taten, was ein anständiger Bundesbürger um diese Uhrzeit tut - vor dem Fernseher zu sitzen.

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5 Kommentare

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  • M
    marina

    @ Stephan: Leute wie du gehören zur Gruppe derer, denen man aufgrund von mangelhafter Politikkompetenz und Übermaß an verzerrter Wirklichkeitswahrnehmung das Wahlrecht entziehen sollte, oder hab ich dich falsch verstanden.

     

    Nun, jedenfalls kennne ich etliche latente oder gemeldete Erwerbslose, die einen höheren IQ (nach herkömmlichen Messmethoden) und auch ein größeres Wissen über soziale, politische, wirtschaftliche Sachverhalte haben, als so mancher mit einem durchschnittlichen oder überdurchschnittlich hohem Einkommen.

     

    Dass jmd. mehr Steuern zahlt, bedeutet ja zuerstmal nur, dass er vorher mehr Einkommen hatte. Mit welcher Berechtigung er dieses höhere Einkommen hatte, ist eine ganz andere Frage, und eine wieder andere Frage ist, weshalb daraus folgen soll, dass er mehr Recht auf ein Stimmrecht haben soll (das sind Rudimente aus Ständezeitaltern - kotzdumm vorurteilsbehaftet ist das).

     

    Politische Kompetenz ist mitnichten direkt proportional zur Einkommens- oder Vermögenshöhe, und wenn es überhaupt eine vernünftig begründbare legitime Ungleichheit der Stimmrechte gibt, dann aufgrund verschiedener pol. Kompetenz. Ich hoffe, mit meiner Argumentation deinen 'politischen IQ' nicht überfordert zu haben (obwohl ich fast sicher bin, dass dies der Fall ist).

  • OS
    Oliver Seitz

    Wären wir denn wirklicher glücklicher, wenn wir wüssten, dass sie sich selbst im Fernsehen auch noch anschauen ...?

  • G
    Gockeline

    Sie schauen nicht fern,

    sie schauen keine Talksendungen an,

    sie wollen vom Wähler eigentlich nichts wissen.

    So kommen auch die falschen Meinungen zustande

    die Politiker haben,weil sie zu weit weg sind vom Wähler.

    Als ich neulich aber vom Plenarsaal einen Politiker am Rednerpult sah mit einem Ausdruck von Kommentaren der Zeitungsleser und ihn daraus vorlesen sah,war ich so erstaunt darüber.

    Die lesen ja doch die Kommentare der Leser.

    Also nie die Hoffnung aufgeben.

    Immer ermahnen,sonst verlieren sie den Zugang zum Wähler.

  • S
    Stephan

    Ein Schlüssellochblick auf ein wichtiges Phänomen. Politiker verachten ihre Wähler. Natürlich, und das liegt am herrschenden Demokratie-Modus.

     

    "Demokratie" haben wir eigentlich immer. Das Volk herrscht, auch wenn die offizielle Organisationsform ganz anders heißt, z. B. Monarchie. Auch der Monarch kann sich seinem Volk nicht wirklich entziehen, der Diktator auch nicht.

     

    Der Unterschied liegt, wie immer, nur im Detail. Wie kann das einfache Glied der Gemeinschaft einen angemessenen Anteil an der Entscheidungsfindung erhalten?

     

    Abstrus ist an unsere aktuellen Demokratieorganisationsform, daß jeder genau eine Stimme hat, unabhängig von Kompetenz, Steueraufkommen, Dienst am Gemeinwesen wo und wie auch immer.

     

    Wieso soll ein 18jähriger Arbeitsloser, kinderlos, ALG2, Hauptschulabschluß den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Volksvertretung haben wie ein selbständiger Architekt, 4 Mitarbeiter, 4 Kinder, 40.000 Euro Steuern im Jahr?

     

    Natürlich ergibt sich daraus nicht die "Diktatur der Blöden", aber sehr wohl die "Diktatur der Manipulatoren", also derer, die sich mehr Stimmen zusammenlügen können. Diese sind sehr wohl kompetent, nur leider nicht auf eine der Gesellschaft dienliche Weise.

     

    Aufgabe eines Politikers ist es, zwischen Notwendigkeit und Demokratiefiktion zu vermitteln. Je mehr er dabei lügen muss, desto mehr verzweifelt er an der Dummheit der von ihm Belogenen, wenn es da noch einen Rest von Verantwortungsgefühl gibt.

  • JP
    Jan Philipp Albrecht, MdEP

    Schöne Worte. Hab aber gar keinen Fernseher. Oh, da fällt mir ein: Doch! Im Büro. Und da läuft die Direktübertragung aus dem Plenum. Muss ich das einschalten?

    Grüße,

    Jan