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Kolumne ParallelgesellschaftenEin Jerusalem namens Kreuzberg

Neukölln ist so in Mode, dass niemand mehr wegmöchte - trotz oder wegen der vielen struppigen Studenten

Bild: taz

Jan Feddersen ist Autor und Redakteur in den Ressorts taz.mag und tazzwei.

Die Welt wird ja immer schlimmer, das weiß man vielleicht nicht in Neukölln, aber in den aufgeklärten Milieus unseres Landes gehört dieser Satz allenthalben zum Inventar einer Rhetorik, die ohnehin immer alles in Schutt und Asche versinken sieht. Neulich also auf der gutbürgerlichen Seite meines Viertels hatte eine Galeristin zur Party geladen. Da sagte die eine, nächstes Jahr werde die Ökrise voll durchschlagen, man dürfe sich von den billiger gewordenen Rohstoffen nicht irre machen lassen. Eine andere, Typ Buchhändlerin mit persönlich signiertem Günter-Grass-Poster hinter der Ladenkasse, gab zu bedenken, dass man ja von Glück reden könne, wenn die Armut nicht zunähme, es sei doch schon schlimm genug.

Liest man diesen ersten Schnappschuss aus einer alternativ selbstbewussten Welt der linken und alternativen Menschen, könnte man glauben, die Party habe sich, was das Catering anbetrifft, von Discounterware ernähren müssen. War natürlich nicht so. Erstaunlicherweise, neben allem Sprechen über die Welt, die schlechter werde, gab es sogar Unterhaltungen über Olivenöle, die man gerade aus den Ferien in Spanien, Italien oder Libanon mitgebracht habe, kaltgepresst natürlich, garantiert, denn man kenne den Bauern, der außerdem absolut korrekte Preise gemacht habe.

So ging denn diese Geselligkeit auch mit dem Gefühl ans Ende, in Deutschland werde nie das Mögliche gesehen, das Offene, das Chancenreiche, sondern die Beschränkung, das Fatale, das, nun ja, Verhängnis des Lebens an sich. Vielleicht fällt einem das auf, wenn man in den Ferien woanders war, wo diese depressive Art des Irgendwie-Erhoffens von Unglück nicht so religiös befrachtet wird. Denn die Sprache des "alles droht", "alles schlimm", "bald wird man es sehen" ist selbstverständlich eine der Magie, der Prophezeiung, des Wunsches nach einem Jüngsten Gericht, das alle Sünden straft, die man zu erleiden hat, weil man nicht sah, was da doch komme.

Und das ist auch in Neukölln seit Monaten schwer in Mode, genauer gesagt, mit dem Einzug von sehr jungen, sehr studentischen, sehr struppigen, sehr fidelen Menschen in das sogenannte Kreuzkölln, was sich vom Rest des Viertels dadurch unterscheidet, dass man auf Nähe zum Jerusalem namens Kreuzberg hält und zweitens mit dem echten Hartz-IV-Pöbel alles in allem dann doch nichts gemein haben will. Mit den Türken und Arabern und Exjugoslawen, die einfach so leben, weil sie eben leben. Mit allen Tragödien, Triumphen und Hoffnungen, die eben so mitschwingen im Alltag, unabhängig, und das mag als Pointe genommen werden, von Konjunkturen, die kommen könnten oder womöglich auch nicht.

Insofern darf man sagen, dass sich in Kreuzkölln eine feine Parallelwelt herauskristallisiert. Mit Menschen, die Gutes wollen und von der Welt mit ihnen selbst im Glutkern nur das Gute annehmen, vor allem, wenn es sie in eigener Person begünstigt. Und das könnte jetzt böse kritisiert werden. Etwa im Sinne von: Ach, die Bürgerkinder, die jetzt mal schwer auf "Ich lebe im Multikulti-Kiez" machen, die meinen es doch gar nicht ernst. In Wahrheit spielt sich in Kreuzkölln aktuell eine gigantische Aufwertung des Lebensgefühls statt, was meine Freundin Fatma mir beglaubigte. Ja, diese Zuzügler machen das Viertel so gut, dass niemand aus ihrem türkischstämmigen Freundeskreis mehr glaubt, aus Neukölln wegziehen zu müssen, zum Beispiel in eine Neubausiedlung am Stadtrand.

Fatma wollte trotzdem raus. Neukölln, sagt sie, ist für sie Kindheit und Jugend und Männer, die Frauen ohne Kopftuch irgendwie nicht übersehen können. Sie wollte nach Moabit, am besten in die Nähe des Hauptbahnhofs, da sei es multikulturell neutral, die Eltern in gebotenem Abstand, die Verwandten ohnehin. Fatma geht jetzt nur noch abends in ihre alte Heimat - in die Kneipen Kreuzköllns. Da könne sie nebenbei auch ihre Mutter besuchen und ihren Vater. Aber sonst? Zum Übernachten fährt sie immer nach Hause. Sie müsse einfach fernbleiben vom Platz ihrer Kindheit. Es sei ihr einfach zu viel - Ideologie.

Fragen zum Ölbaum? kolumne@taz.de Montag: Martin Unfried Ökosex

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