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Kolumne OverseasDrehen, stolpern, weitermachen

Wer typisch amerikanisch tanzen geht, braucht einen langen Atem. Denn rumsitzen gilt nicht.

Was macht der Amerikaner eigentlich so in seiner Vorortsiedlung am Samstagabend? Das habe ich mich schon lange gefragt. Denn schließlich sind die Vororte hochpoliert, totenstill und oft viele Meilen weit weg von solchen Straßenkreuzungen, an denen es mehrere Kneipen, Take aways, Tabakdealer und Late-night-Musiker auf der Suche nach einem Gig zu finden gibt. Weil meine Neugier auf das, was am Samstagabend passiert, nie so richtig befriedigt wurde, nahm mich neulich meine deutsche Freundin Anke, die in New Jersey in einem schnieken, reichen Vorort von New York wohnt, zu einem "typisch amerikanischen Abend" mit.

Bild: taz

ADRIENNE WOLTERSDORF ist USA-Korrespondentin der taz.

Auf dem Programm stand "Contra Dance". Nachdem Anke mir versicherte, dass dies keineswegs die nicaraguanische Lobbyveranstaltung eines gesponserten Benefizabends werden sollte, freute ich mich auf einen gepflegten Schwof in Suburbia. Während ich überlegte, ob ich besser die schwarzen oder die roten Pumps anziehen soll, frisierte Anke sich die Haare zu einem Pferdeschwanz, zog eine Trainingshose und Turnschuhe an und füllte eine Flasche mit Haltegriff für Sportler mit Wasser auf. Wir fuhren dann auch zu einer kommunalen Sporthalle, wo wir sofort von einer Ehrenamtlichen wie alte Bekannte begrüßt und gefragt wurden, ob wir 10 Dollar Eintritt bezahlen oder uns lieber für den Aufräumdienst bereithalten würden. Kurz darauf rief der Zeremonienmeister, ein gewisser Roger mit Pferdeschwanz und Hawaiihemd, alle Anwesenden auf, an der Einführung teilzunehmen.

Auf einer Bühne hatte sich schon eine Kombo von Folkmusikern mit Fiddle und Tambour versammelt, die gleich scheunenmäßig loslegten. Ich war schüchtern und wollte erst nur zuschauen. Doch daran war im Sinne des american spirits, der hier so frisch von den Wagentrecks der ersten Siedler herüberwehte, nicht zu denken. Jeder könne Contra Dance, versicherten mir die Umstehenden.

Das Schöne an diesem typisch amerikanischen Tanz sei, beeilten sich mir alle zu erklären, dass es auf gar nichts ankomme. Und tatsächlich ging es von Anfang an nur darum, in jeweils kurzen Abständen irgendjemandem die Hand zu reichen, eine Drehung zu machen, weiterzustolpern, die Hand des nächsten Nachbarn zu ergreifen, links, rechts, über Kreuz, sich zu drehen und wieder den Nächsten zu packen. Es sei toll, japste ein älterer ergrauter Herr mir zu, als wir uns an den Händen rissen, dass man bei Contra Dance alle dreißig Sekunden jemand anderem in die Arme renne.

Wie im sonstigen amerikanischen Leben auch, schwante es mir, war es selbst hier nicht notwendig, sich miteinander zu beschäftigen. Nein, die Masse der rund 100 aufgedrehten Vorstädter machte es. Das Glücksgefühl, mit allen klarzukommen. Ohne mühsame Beinarbeit, ohne "Könner" und "Anfänger". Stattdessen schlichte Figuren, die jeder nimmt, wie er will. Nachdem sich mein erster Schwindel legte, erschien mir das auf einmal als die einzig mögliche Tanzform einer zutiefst protestantischen Gesellschaft. Die Leute um mich herum, unrasiert, ungeschminkt, in Shorts, in Reformkleidern, wirbelten laut kichernd durch die Halle. Dicke, Dünne, Kinder, Alte. Kaum konnte ich mich befreien und mich auf die Stuhlreihe am Rand setzen, kam schon einer der neu eingetroffenen Suburbia-Siedler und forderte mich kumpelhaft auf, mit ihm zu tanzen.

Roger, der Zeremonienmeister, kam in der Pause persönlich an, um mich zu ermuntern. Nachdem er sich erkundigte, woher ich denn komme und so, meinte er plötzlich, ich sei doch viel zu süß, um nicht mit Begeisterung dabei zu sein. Wie bitte? Ich verzieh ihm seine Offenherzigkeit, weil er gerade erzählt hatte, er stamme aus Arkansas. Dann kam ein anderer Endvierziger, dessen Einladung zum Hopsen ich angesichts der Midwestern-Offensive Rogers gerne annahm. Während wir einige erste Drehungen gingen, stellte er sich als geschiedener Buchhalter vor.

Kurz bevor uns die Alle-mit-allen-Regularien trennten, fragte er mich, ob er mich am nächsten Tag wiedersehen könne. Ich war baff. Ganz landesüblich schnörkellos antwortete ich: No. Der Mann lachte etwas, dann zuckte er mit den Schultern, sorry, man könne ja ruhig mal fragen, sagte er, und weg war er. Alle dreißig Sekunden in anderen Händen, am Samstagabend in Suburbia.

Lust auf Contra Dance?

kolumne@taz.de

mailto:kolumne@taz.deMorgen: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE

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