Kolumne Overseas: Politische Nötigung am Arbeitsplatz

Die US-Vorwahlen neigen sich dem Ende zu - aber im Büro soll bitte nicht darüber gesprochen werden.

Fast ist in meiner neuen Heimat, in Amerika, die Freiheit grenzenlos. Ich kann mir irgendwo ein Stück Land kaufen und einfach so ein Haus bauen, ohne Kanalisation und aufgezwungener Daseinsvorsorge. Ich darf öffentlich an den größten Unsinn glauben und mich Kirche nennen. Kein Einwohnermeldeamt nötigt mich zur Anmeldung und die schwierigen Fragen der Mülltrennung kann ich getrost unbeantwortet lassen. Hauptsache, ich versalze keiner Opfergruppe mit findigem Anwalt mittags in der Kantine die Suppe.

Neulich kam meine Freundin Anke nach Washington zu Besuch. Sie arbeitet als Juristin bei einem deutsch-amerikanischen Unternehmen kurz vor New York. Am Samstagabend nahm ich sie mit zu einer Party, die ein paar Kollegen und Freunde gaben. Es war nach Wochen miesen Wetters der erste schöne Abend. Es gab eiskalten Wein, Moskitos und eine erhitzte Diskussion darüber, warum Hillary-Feministinnen eine Geißel der Menschheit sind. Die Party spaltete sich schnell in ein Obama- und ein Anti-Obama-Lager und bald kam man von Hillary über Frauen zu Beziehungen und wieder zurück zur Wahl, so lange im Kreis, bis alle beglückt und müde nach Hause gingen.

Am nächsten Morgen sagte Anke, sie sei am Anfang des Abends beunruhigt gewesen, dass wir so offen über Politik diskutiert hätten. Hä? Ja, erst nach einer Weile sei ihr aufgefallen, wie sehr sie die Regeln ihrer Firma verinnerlicht habe. Sie als Chefjuristin muss nämlich unter anderem darüber wachen, dass sich unter ihren 400 Mitarbeitern keine unproduktiven Streitereien ergeben. Daher gilt: Keine politischen Diskussionen am Arbeitsplatz! Auch nicht in der Teeküche oder in der Kantine. Nee, nicht euer Ernst, frage ich Anke. Doch! Und nicht nur bei ihnen.

Fast die Hälfte aller Ami-Betriebe haben zudem hauseigene Sprechverbote, weil ganz offensichtlich das Vertreten politischer Ansichten etwas so Anrüchiges ist wie ein fummelnder Chef. Jedenfalls kommen die gleichen Gesetze, die gegen "sexual harassment" aus dem Waffenschrank geholt werden, auch gegen "political harassment" zur Anwendung, erklärt mir Anke. Und wie die Dinge jetzt so stehen, können sich Republikaner zurzeit auf jeden Fall als schutzbedürftige Opfer demokratischer Anmachversuche ausgeben.

Da bleibt ja nicht viel Gesprächsstoff am Arbeitsplatz übrig, überlege ich. Ach was. Zum Glück gibt es ja noch Hollywood. Clooney, Angelina oder "Sex and the City" - stets ein prima Pausenfüller in diesem Land. Da weiß man wenigstens, wer raus aus dem Rennen ist und wer wie viele Stimmen an den Kinokassen bekommen hat, ohne dass man befürchten muss, jeder Kinoheld habe seine eigenen mathematischen Grundsätze.

Aber, um Gottes Willen! Das amerikanische Arbeitsplatzreinhaltungsgesetz im Nacken fühlend, fällt mir ein, dass es wohl in diesen Tagen heikel werden könnte zu sagen, dass man zum Beispiel "Pulp Fiction" oder so etwas wie "Lord of the Rings" gut findet! Beide wurden von dem Filmtycoon Harvey Weinstein produziert. … Ja, genau der Weinstein, der gerade den Demokraten angedroht hat, nie wieder große Summen Geld zu spenden, wenn Hillary Clinton nicht gewinnen darf.

Kürzlich war ich in New York unterwegs und wollte morgens, als der große Shoppingschuppen Lord & Taylor an der 5th Avenue seine Rollläden hochzog, schnell ein T-Shirt kaufen. Statt Ware bot mir das Kaufhaus ein merkwürdiges Spektakel: In der Eingangsschleuse standen Kunden und sangen und summten ehrfurchtsvoll die Nationalhymne "Das Sternenbanner". Seit dem US-Geiseldrama 1979 in Teheran scheppert hier jeden Morgen um 10 Uhr die Orchesterversion der Hymne. Es sei das am längsten währende private Schauspiel amerikanischen Patriotismus, erklärt mir stolz eine Frau.

Wie bitte, und keiner der Angestellten hat Lord & Taylor seitdem verklagt? Aber nein, meint die Dame freundlich. Das sei doch gar nicht politisch gemeint, das sei doch nur eine Ehrung für das großartigste Land der Welt.

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