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Kolumne OverseasDas halbe Wunder

Wer dafür kämpft, seine Fenster erneuern zu dürfen, muss sich zwischen Kipp- und Schiebeversion entscheiden.

Neulich geschah etwas Unglaubliches: Die Denkmalschutzbehörde Washingtons, also in der neuen, freien Welt, hat eine Entscheidung zu meinen Gunsten getroffen! Das ist ungefähr so, als ob der frühere Oberste Sowjet damals plötzlich genehmigt hätte, dass eine Rübenkolchose an der New Yorker Börse spekulieren dürfte. Vor einigen Monaten hatte ich an diesem Platz davon berichtet, wie die "Historische Kommission" der US-Hauptstadt meine flehenden Gesuche eiskalt abgelehnt hatte, in meine Mietwohnung neue, das heißt schließende Fenster einbauen zu dürfen. Ich wohne just auf der Straße, der 16. wie sie heißt, die zum Eingang des Weißen Hauses führt, was wohl bedeutet, dass unsere recht pompöse Hausfassade irgendwelchen konservatorischen Absichten untersteht. Erstaunlich, denn gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegen Sozialwohnungen. Deren Einwohner pflegen Hobbys, die, soweit ich das aus sicherer Entfernung beobachten kann, aus Bandenkriegen und regelmäßigen Besuchen in der Notaufnahme ausgesuchter Krankenhäuser besteht.

Bild: taz

Adrienne Woltersdorf ist taz-Korrespondentin in Washington D.C.

Ich will damit nur mein Unverständnis andeuten, dass die Historische Kommission, deren 99 Namen hier alle nur mit großem Respekt oder sogar nur flüsternd aussprechen, wohl leider beschloss, sich umso intensiver um meine Straßenseite zu kümmern. Und auf der gegenüberliegenden Seite mehrere alte viktorianische Villen bedenkenlos modernen Apartmentblocks zu opfern. Aber egal. Wenn es zu Kontakt mit staatlichen Behörden kommt, verhalten sich die Amerikaner so fatalistisch devot wie sonst nur die Maya-Untertanen gegenüber ihrem gottgleichen Quetzalcoatl. Dieses Verhältnis auch nur zu hinterfragen erzeugt bei ansonsten glühenden "Yes, we can"-Anhängern einfach nur schweigendes Schulterzucken.

Meine recht zahlreichen hölzernen, balkonumgebenen Fenstertüren, damals in den 20er-Jahren eher mit dem Gedanken an den schnellen Dollar zusammengezimmert, sind so morsch, dass ich die einzelnen Scheiben seit längerem mit Paketband in ihrem Rahmen fixieren muss. Jedenfalls klagte ich bereits an dieser Stelle davon, dass ich seit nunmehr zwei Jahren die Washingtoner Winter, trotz mehrerer Eingaben an die Historische Kommission, nur mit vielen Kartons vor den Ritzen und dicken Wolldecken und Wärmflaschen überstehen konnte.

Neulich aber geschah das Wunder. Es ist genau genommen ein halbes Wunder. Denn, God almighty weiß warum, bekam ich plötzlich das Okay dafür, die halben Fenstertüren auswechseln zu dürfen. Bei meinen fünf Doppeltüren sind einige nämlich schon vor Jahrzehnten mittig abgesägt worden, um in der unteren Hälfte die damals schon beliebten hasenstallgroßen Klimaanlagen einbauen zu können. Jedenfalls befand die Behörde plötzlich, dass diese halben Türen durchaus nicht mehr das Original und daher "auswechselfähig" seien.

Sofort ließ ich Shaun, den Fenstermann kommen, der wie alle anderen Fenstermänner der USA beredt und mit zackigen Slogans bewehrt Holzfenster durch Plastikfenster ersetzen kann. Als wir dabei waren, den neuen Fenstertyp auszusuchen und ich darauf bestand, wieder, wie das abgesägte Türoriginal, ein Fenster zu haben, dass nach innen aufgeht, war Shaun entschieden dagegen: "Das ist doch ineffektiv!! Wir in den USA machen keine nach innen aufgehenden Fenster, die sind schlecht!" "Aber in ganz Europa haben wir nach innen aufgehende Fenster, auch welche, die man kippen kann", entgegnete ich entgeistert. "Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, die sind ineffektiv", sagte er unbeeindruckt. "Aber wir in Europa verstehen mehr vom effektiven Bauen als ihr Amerikaner," sagte ich fast schon beleidigt ob seines unangreifbaren Selbstvertrauens. Shaun interessierte das nicht.

Ich hatte eh längst das Gefühl, in dieser Sache ohnehin das Maximum des in diesem Weltteil Machbaren erreicht zu haben. Okay. Ich ließ Shaun seltsam weiße Plastikschiebefenster einbauen. Wenn ich sie anschaue, denke ich, nun fehlt nur noch der Salzteigkranz daran. Vor die schräg in den morschen Angeln hängenden alten, aber schönen Türflügel gleich nebenan ziehe ich weiter die Vorhänge. Mein Apartment sieht von außen nun aus wie eine Collage der Fenstergeschichte des späten 20. Jahrhunderts. Aber was solls. Die Historische Kommission hat entschieden. Shaun garantiert mir, dass meine neuen Fenster wissenschaftlich geprüft, UV-filternd und schallisolierend sind. Nachdem er sie eingebaut hat, ruft er abends noch mal an und sagt mit mit tiefem Bass, mein Kundenglück abcheckend: "Und jetzt sagen Sie mir doch noch, wie sehr sie die neuen Fenster lieben!!"

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