Kolumne Ökosex: Born to be zeozweifrei
Neue Ökosexprodukte: eine grüne Autozeitschrift und der Motorroller, der abgeht wie eine Straßenbahn.
Martin Unfried (41) arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt
Ich schätze Überraschungen auf Ökosexreisen. Fing letzte Woche in Aachen am Bahnhof an: Es gibt doch jetzt tatsächlich eine unglaubliche deutsche Autozeitschrift mit dem Namen Ecomobil. Das ist ein Magazin, das sich ganz dem effizienten Brummbrumm verschrieben hat. Was ich jahrelang fantasierte, heiter einforderte, verzweifelt gesellschaftlich anmahnte, ist wahr geworden. Diese erste Ausgabe von Ecomobil ist eine Art Ökosexkatalog. Das ist der bebilderte Leitfaden meiner Kampagne "Kein Auto über 120 g/km CO2". Da sind alle Kisten drin, die im Moment unter 120g/km CO2 liegen. Und das sind ganz schon viele, schön sortiert und aufgelistet mit Preisen und Pipapo.
Mir wurde beim Lesen ganz heiß auf der Fahrt nach Berlin, die viel zu kurz war. Danke Ecomobil! Und jetzt ist "Augen auf beim Autokauf" noch einfacher. Damit wird auch das Dienstwagenproblem der Bundesregierung schnell gelöst, denn der verehrte Herr Gabriel (rund 200 g/km CO2) hat das Vorwort zum Ökoautoblatt geschrieben. "Yes, we can", möchte ich der Bundesregierung im Stile Obamas zurufen.
Dann war ich in der Hauptstadt der ökologischen Gefühle, Berlin, und ging meiner Arbeit nach: der Suche nach Produkten für uns Leute vom Klimaclub, die ihre CO2-Emissionen bis nächstes Jahr halbieren wollen. Ich hatte ein Rendezvous mit dem neuen Vectrix. Das ist ein Motorroller. Er stand da am Schiffbauerdamm (www.vectrix.de), ich sah ihn und es war Liebe. Der Vectrix ist elektrisch. Kein Prototyp, kein Grünwaschbär von VW, sondern etwas, das man heute kaufen kann. Ich steige auf, schalte an und ohrenbetäubende Stille. Sound of silence. Dann auf die Fanmeile, ich beschleunige und es ertönt der Hammersound: zischt so schön wie eine Straßenbahn. Beschleunigt aber schneller, und auch schneller als mein Hollandrad. Der Vectrix beschleunigt sehr, sehr, sehr schnell. Und weil der 100 km/h fährt, kann man also auch gut über Land oder sogar ein Stück Autobahn fahren. Ich bin ja eigentlich gar kein Motorradjonny, aber das Cruisen Unter den Linden war fett, cool und mega. Praktizierter Ökosex eben. Der Vectrix hat eine Reichweite von 70 bis 100 Kilometern je nach Fahrweise. Durfte mit einem Verbrauch zwischen 5 kWh und 8 kWh auf 100 Kilometern auskommen. Das sind umgerechnet 0,5 bis 0,8 Liter Sprit. Selbst mit dem jetzigen Strommix ist das im Vergleich zum Benzinroller oder Kleinwagen noch ein Wahnsinns-Effizienzgewinn. Die Maschine kostet 10.000 Euro und ist preislich gar nicht so weit von den anderen großen Motorrollern entfernt. Also Pendler, die keine gute ÖPNV-Verbindung haben: mit dem Umstieg vom Kleinwagen auf diesen Elektro-Motorroller könntet ihr eure CO2-Emissionen im Pendelverkehr weit mehr als halbieren. Für Profis heißt das sogar: born to be zeozweifrei.
Wir vom Klimaclub machen ja zu Hause mit Photovoltaik oder mit Windstrombeteiligungen unseren Strom selbst. Das heißt: CO2-freie Mobilität ist machbar, Herr Nachbar.
Noch eine Materialfrage: in Berlin war plötzlich alles voller Fietser. Der coole Trend geht in Kreuzberg zum Rennrad mit ganz schmalen Reifen und ohne Schutzblech. Und da hängen dann so dürre Mädels drauf und werden auf dem Kopfsteinpflaster durchgeschüttelt. Süß, aber nicht gut für die Eierstöcke! Ein Tipp von einem niederländischen Schwaben: Junge Leute, das Fiets sollte eigentlich kein Folterinstrument sein, sondern eine Sänfte, mit der man dahingleitet! Dasselbe gilt übrigens auch für Radwege. Fietse ich von Kreuzberg nach Wilmersdorf und denke: "Was ist denn hier los?" Das sind keine Radwege, sondern ein lebensgefährliches Hindernisrennen. Es ist ein bisschen unhöflich als Ausländer gegenüber dem Gastland, aber moderne Fietsinfrastruktur sieht anders aus. Da war es geschickt, dass ich abends gleich die Umweltsenatorin, Frau Lompscher, bei einer Diskussion traf und ihr das auch so sagte. Ich war aber nicht nach Berlin gekommen, um zu kritisieren. Ich wollte ihren Dienstwagen loben. Der liegt bei 104 g/km CO2. Frau Lompscher ist nun Ehrenmitglied der Kampagne "Kein Auto über 120". Ein leuchtendes Vorbild für Klimaschutzdeutschland.
Fragen zum Roller? kolumne@taz.de Montag: K.-P. Klingelschmitt ÄLTER WERDEN
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