Kolumne Ökosex: Abwählen und abschalten
Warum die millionenfache Stromkündigung bei den Atomkonzernen jetzt ein wichtiges Mittel ist.
Stuttgart, Schlossplatz, Kundgebung: Ich stehe auf der Bühne und schaue in die riesige Menge. Überall gelbe Fahnen mit der "Nein Danke"-Sonne. Ganz schön viele. Ich hatte mir eigentlich in den Tagen zuvor lustige Gags ausgedacht, wollte wie immer über Atomkonzerne scherzen. Watnknall bei Vattenfall und so. Dann kamen die verschärften Nachrichten aus Japan und die Feierlaune war vorbei.
Sich freuen über die gelungene Menschenkette, während im selben Augenblick vielleicht ein Atomreaktor schmilzt? Eine surreale Vorstellung. ExpertenInnen, die sich jahrelang mit den schlimmsten Szenarien beschäftigten, waren schockiert, dass der Worst Case eintritt.
Als aber dann die ersten Reden kamen und in Stuttgart Tausende "abschalten" riefen, fühlte sich das doch genau richtig an. Dann wusste ich, warum wir da waren: wegen Neckarwestheim, wegen Biblis und all der anderen deutschen Atomkraftwerke. Das Schreien war sogar richtig erholsam. Dann fragte ich die Tausenden, wer noch Strom von Atomkonzernen zu Hause in der Steckdose hatte. Erstaunlich viele waren ehrlich und hoben die Hand.
An alle, die in den nächsten Tagen statt Atomtalkshow gucken etwas Sinnvolles machen wollen: Die Massenkündigung wäre so was. Einfach 100 Bekannte und Verwandte anrufen und zur Atomstromkündigung ermuntern, überreden oder einfach zwingen. Die nächsten Wochen werden entscheidend. Eine echte Massenkündigung bei Eon, RWE, EnBW und Vattenfall und ihren Töchtern wäre ein überzeugendes Zeichen.
Längst ist der Kommunikationskrieg eröffnet und Angela Merkel und Norbert Röttgen machen das ganz gut mit ihrer Wir- überdenken-die-Sicherheit-Strategie. Aber, "böse Opposition", das Thema sei natürlich zu ernst für den Wahlkampf! Diese Lachnummer ist zum Schreien. Aus Pietät bedächtig schweigen, wenn es darum geht, ob ein überzeugter Laufzeitverlängerer Regierungschef in Stuttgart bleibt? Noch genialer meint Röttgen: Wir sollten jetzt die alten Grabenkämpfe vergessen und zu einer ganz neuen gemeinsamen Einschätzung kommen.
Wichtiger wäre es jetzt, die ideologischen Hosen runterzulassen. Und endlich zuzugeben, dass es eben nicht um eine rationale, wissenschaftlich fundierte Einschätzung geht in Sachen Atom. Das war die größte Lüge in der Atomdebatte der letzten Jahrzehnte. Ideologisch waren immer nur die Atomkraftgegner, diese irrationalen Gefühlsmenschen. Dabei müssen die Atomkraftideologen bis heute einiges tun, um ihr Weltbild ins Lot zu kriegen. Sie müssen Kostenkalkulationen eisenhart auf Gegenwart frisieren, ohne Rücksicht auf Folgekosten und ungeklärte Endlagerung. Sie müssen bis heute Gefahren ausschließen wie eine unbändige Natur oder menschliches Versagen.
Am lächerlichsten gaukelt die Physikerin Angela Merkel Rationalität vor. Dabei gibt es keine unideologische Einschätzung der Atomenergie. Also gibt es auch keine neue sachliche, wissenschaftliche Bewertung der Sicherheit der deutschen Reaktoren. Die Bewertung ist politisch, deshalb gehören abwählen und abschalten zusammen.
Leser*innenkommentare
IJoe
Gast
Strom kommt zum Glück ja aus der Steckdose. Oioioi, was rauchen Ökos eigentlich? Muss ja ein Teufelszeug sein.
der muggl
Gast
Hallo Ökosex!
Wollte dir schon lange mal sagen, dass du unwahrscheinlich tolle Kolumnen schreibst! Die kann ich immer zu 100% unterschreiben und die sind so wichtig für alte Hasen, die schon ewig an diesen dicken Brettern bohren, aber noch wichtiger für die, die immer ewig zum wexeln brauchen. Danke.
Sabine Roberts
Gast
Dem kann ich mich nur anschließen. Danke!!
vic
Gast
"Abwählen und abschalten"
Richtig!
Wir benötigen keine Politiker für den Atomaustieg. Das können wir ganz alleine machen.
Wenn alle die gegen Atomkraft sind, ihren Atom und Kohle-Stromversorger zugunsten eines sauberen Ökostromversorgers verlassen, wird es schon bald keine AKWs mehr geben.
Kein Profit - kein AKW!
Lena Reiner
Gast
sehr spannend...
habe am sonntag eine umfrage stimmungsbild zu japan gemacht.
was mich im nachgang am meisten beschäftigte war diese "die politik soll was tun"-einstellung verbunden mit "mir ist ökostrom zu teuer"...
momentan mache ich eben dazu eine umfrage.
leider ist das phänomen der sozialen erwünschtheit so krass, dass alle, die nix ändern wollen,
anonym bleiben mögen...
Udo Bethke
Gast
Lieber Martin Unfried,
ich wollte Ihnen schon immer mal ein Dankeschön für Ihre Kolumne sagen und die Haltung, in der Sie diese konsequent nun schon so lange 'durchziehen'.
Äußerst tragisch, dass wir das nun miterleben müssen.
Und es bleibt nichts übrig, als hier weiterzukämpfen
für einen Sieg der Vernunft - mit allen verfügbaren Mitteln. Viel kreative Energie auch Ihnen weiterhin.
Udo Bethke