Kolumne Ökosex: Last Exit Ökosex
Es war schön: Nach fünf Jahren und mehr als 100 Kolumnen ist Schluss in der taz, aber nicht mit Ökosex.
A ngefangen hatte es in dieser Zeitung im Jahr 2006 mit einem Artikel über Heidi Klum und "Wetten, dass ..?" Mir war aufgefallen, wie schamlos öffentlich-rechtlich für Steinzeitautos und Kohlestrom geworben wurde: mit gutaussehenden A-Promis die Herzen von Millionen anfixen und ihre Gefühle mit feuchten Sportwagenträumen aufladen. Ich empfand dies als einen erheblichen Nachteil im Kulturkampf zwischen fossiler und erneuerbarer Gesellschaft. Wir nannten die Kolumne Ökosex. Zur Erinnerung: Öko und sexy waren damals Begriffe, die irgendwie nicht zueinanderfanden.
Deshalb habe ich in mehr als 100 Versionen damit angegeben, wie schön ein Leben ohne fossile Brennstoffe sein kann. Und wollte beweisen, dass es die Gefühle einer Gesellschaft sind, die in Sachen Ökologie massiv blockieren. Dass uns meist Ausreden erklären, warum was nicht geht. Wir können doch nicht plötzlich alle Kleinwagen fahren! Wir können doch nicht die Atomstromkonzerne durch eine Kaufentscheidung entmachten! Selbst viele Ökos haben diese Blockaden verinnerlicht, wie wir im Fall der ausbleibenden millionenfachen Atomstromkündigung sahen.
Fukushima war natürlich das Meisterstück der Ausredengesellschaft. Von wegen neue sicherheitstechnische Erkenntnisse durch Fukushima (Kanzlerin), von wegen neue wirtschaftliche Chancen der Erneuerbaren (Röttgen), von wegen neue Erkenntnisse in Sachen Müll, Gorleben, Geologie in Süddeutschland (Seehofer). Nein, es gibt keine neuen sicherheitstechnischen und keine ökonomischen Erklärungen, warum jetzt geht, was vor Monaten nicht ging. Neu sind heute die Gefühle der Deutschen. Ihr Bauch hat sich verändert. Its the emotion, stupid! Und Angela Merkel hat erkannt, dass der Bauch der Deutschen nicht mehr mitspielt beim Atom. Und das hat nichts mit "German Angst" zu tun. Natürlich steckt hinter jedem stabilen Gefühl auch die jahrzehntelange Debatte über Risiken und Chancen. Leider brauchte es zum Durchbruch doch noch die ganz große japanische Katastrophe mit anschließender Katharsis.
MARTIN UNFRIED ist Autor der taz.
Und jetzt? Eher labil ist die Gefühlslage in Sachen Aufbau der Erneuerbaren, bei der Landwirtschaftswende sowieso, ganz zu schweigen von den Verkehrsemotionen. Brumm-brumm. Spritschleudern sind immer noch Mainstream, Windenergie-Bashing auch, und in Sachen Nuller-Eier ist noch viel zu tun. Tolle Aufgaben für Ökosex, insbesondere in Richtung des neuen Öko-Mainstream. Viele rhetorische Ökos sind nämlich noch Vielflieger und Fossilduscher, haben Atomstrom zu Hause, nix in Erneuerbare investiert und sind Mitglied im ADAC. Denen mangelt es nicht an guten Argumenten, sondern an good vibrations.
Deshalb gibt es Ökosex auch weiter jeden zweiten Dienstag auf www.oekosex.eu mit Videos und Musik. Da wird auch in Kürze verkündet, wo die Kolumne künftig gedruckt erscheint. Angebote nehme ich gern noch entgegen. Und wie wäre es: Sollte ich vielleicht eine Abschiedslesung für taz-FreundInnen des Ökosexes machen? Ich bitte um Terminvorschläge. Besten Dank, liebe taz, es hat mich sehr gefreut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Getöteter Schwarzer in den USA
New Yorker Wärter schlagen Gefangenen tot
Wie die Waldorfschule Vertrauen lehrt
Sie wollten Fügsamkeit
BSW-Anfrage zu Renten
16 Millionen Arbeitnehmern droht Rente unter 1.200 Euro
Neuer Präsident in Georgien
Annalena Baerbock, bitte mal nach Georgien reisen!