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Kolumne Neue WerteStell dir vor, du wärst Quotenmann

Ulrich Gutmair
Kolumne
von Ulrich Gutmair

Alle Männer, die derzeit in Vorständen sitzen, sind Quotenmänner, sofern sie Männer sind. Sie sind die Quotenmänner ihres jeweiligen Old Boys Clubs.

W er die Mitte von Deutschland sehen will, muss Zug fahren. Hier sitzen sie alle: Die vitalen Pensionäre mit vollen Konten, viel Zeit und Empathie. Die spätgebärenden Mütter und spätzeugenden Väter mit Kindern, die zu laut sind. Die Businessmänner und Businessfrauen in Anzug und Kostüm, Ledermappen und Laptops vor sich aufgeschlagen, am Telefon Probleme im Workflow managend.

Die mittelalten Frauen, mit Blusen, Halstüchern und goldenen Schnallen angetan, den Habitus der gesellschaftlichen Elite verströmend, ihre Eltern womöglich durch Expansionskrieg und Zwangsarbeit reich geworden. Die leger, aber stilvoll gekleideten Thirtysomethings, von denen man nie weiß, ob sie gut verdienende Agenturleute, prekäre Selbständige, seit Jahren aufstrebende Geisteswissenschaftlerinnen oder arme Künstler sind. Die Studierenden, manche sind sehr fleißig, manche konsumieren Filme und Musik, weiße Stöpsel im Ohr.

Es unterhalten sich zwei junge Frauen mit vier jungen Männern. Eine der beiden dominiert das Gespräch mit länglichen Monologen, in denen sie keine Luft zu holen scheint, aber keineswegs atemlos wirkt. Dass die Möglichkeit einer Pause in ihrem Redefluss bestehen könnte, wird durch ein Kurzlachen dementiert, das die Sprecherin zwischen die Satzeinheiten platziert. Es signalisiert Souveränität: Hallo, hört her. Ich bin 24, stehe aber über den Dingen.

Die Lady ist aus Paderborn, höre ich, und sie studiert was mit Medien. Medienökonomie ist dabei und selbstverständlich auch Gender Studies. Die junge Frau hat, das wird gleich am Anfang der Konversation deutlich, ein äußerst kritisches Verhältnis zur Frauenquote. Die Quote bedeute nämlich, doziert sie, dass Personen nicht aufgrund ihrer Leistung, sondern aufgrund ihres Geschlechts bewertet und sodann in herausgehobener Stellung eingesetzt würden. "Stell dir mal vor", sagt sie - "haha" - in die Runde, "du bist der Quotenmann!"

Das ist natürlich ein schlagendes Argument: Stell dir vor, du bist der Quotenmann! Niemand würde Quotenmann sein wollen, ich auch nicht, das gebe ich leise bei mir zu. Insofern ist nachvollziehbar, dass junge wortgewandte Paderbornerinnen, die das schon hinkriegen werden mit ihren Vorgesetzten im Verlag oder im TV, überhaupt keine Lust haben, Quotenfrauen zu sein – bin ich Frau, oder bin ich behindert?

Die Postfeministin ist klug. Sie weiß, wie man sich anzieht. Und wenn sie mal in der Chefredaktion sein wird oder im Vorstand sitzt, dann wird sie das nicht wegen der Quote erreicht haben, sondern weil sie so smart ist. Irgendwas aber ist an der Formulierung "Quotenmann" dran, das mich nicht los lässt. Es ist nicht der Kristina-Schröder-hafte Sound, der mich stört. Man muss seine Thesen ja irgendwie verkaufen: "Stell dir vor, du wärst der Quotenmann!" Das Problem liegt in der stockkonservativen Affirmation des Gegebenen, die sich der eigenen Blindheit gegenüber den herrschenden Strukturen noch nicht mal bewusst ist.

In mir drin formuliere ich eine Ansprache: "Liebe Paderborner, liebe Postfeministinnen! Alle Männer, die derzeit in Vorständen sitzen, alle amtierenden Chefredakteure, CEOs und Heads of Department sind Quotenmänner, sofern sie Männer sind. Sie sind die Quotenmänner ihres jeweiligen Old Boys Clubs. Der Kriterienkatalog der Old-Boys-Quote wird nicht veröffentlicht, er ist offensichtlich: Bei der Rekrutierung von Führungspersonal sind Kandidaten zu bevorzugen, die uns möglichst ähnlich sind. Junge, smarte Frauen nehmen wir schon mal mit. Aber nur, wenn sie Postfeministinnen sind. Die flicken uns nicht am Zeug."

Ich stelle mir vor, wie die junge Frau aus Paderborn als Jagdfliegerpilotin den Luftraum durchquert. Von oben in die Niederungen blickend setzt sich ihr Ich gegen die Zumutungen der Verhältnisse ins Recht. Was für Projektionen! Könnte es sein, jetzt wird's gruselig, dass ich selbst ein Old Boy bin?

Die beiden Postfeministinnen steigen aus in Jena Paradies. Die vier jungen Männer verhandeln kurz, mit gedämpften Stimmen, wie man die Wortführerin einzuschätzen habe. Sie einigen sich auf die Formel: O. K., aber ein bisschen vorlaut.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).

11 Kommentare

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  • T
    TochterEgalias

    @Jojas

    Natürlich gibt es keine "wirklichen" Quotenmänner, denn, wie Sie richtig sagen, gibt es keine offizell zu erfüllende Quote.

    Der Text kritisiert nur, dass sich viele Frauen und Männer wohl nicht einmal darüber bewußt sind, dass Männer oft aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt werden und bezeichnet dies als "stockkonservative Affirmation des Gegebenen".

  • J
    Jojas

    @Tochter Egalias: Danke, das könnte es sein.

     

    Da möchte ich aber dagegenhalten, daß die Quote i.d.Z. ein Soll ist, das es zu erfüllen gilt. Ein Quotenmann würde also nur aufgrund der Einschätzung eingestellt bzw. befördert, daß das Verhältnis Männer zu Frauen quantitativ zu Ungunsten der Männer ausfällt.

     

    Die Gründe für die Bevorzugung der Männer scheinen aber nicht im Quantitativen sondern im Qualitativen zu liegen. Sprich: Ein Mann wird bevorzugt, weil er ein Mann ist, nicht um eine Quote zu erfüllen.

     

    So gesehen ist die Aussage, berufstätige Männer seien per se Quotenmänner, falsch.

  • T
    TochterEgalias

    @Jojas: Nun, entweder man ist der Meinung "Männer werden in der Regel nicht wegen ihres Geschlechtes für diese Ämter ausgewählt, sondern wegen ihrer Qualifikation und ihres Engagements" (s.u.) dann ist sowieso Hopfen und Malz verloren, denn das bedeutet, Frauen sind sowieso und von Natur aus schlechter als Männer.

    Oder man fragt sich warum Männer offensichtlich bei Einstellung und Beförderung in vielen Bereichen bevorzugt werden, also Quotenmänner sind.

    Ist doch objektiv betrachtet gar nicht so schwer zu verstehen ;)

  • IB
    Ich bin kein Quotenmann

    "Das Problem liegt in der stockkonservativen Affirmation des Gegebenen, die sich der eigenen Blindheit gegenüber den herrschenden Strukturen noch nicht mal bewusst ist."

     

    Herr Gutmair stellt in seiner Kolumne eine Frau vor, welche er am Ende des Artikels mit Blindheit bewertet. Sein Fazit: Sind wir nicht alle Quotenmänner? Nein. Sind wir nicht. Aus unserer Sozialisation heraus gab es eine jahrhundertealte Arbeitsteilung. Dem Mann blieb die Erwerbstätigkeit für seine Familie. Das war seine Familienarbeit, während die Frau den häuslichen Bereich übernahm. Sowohl Frauen, als auch Männer wurden nicht gefragt, wie sie zu dieser Rollenaufteilung stehen. Das erklärt die hohe Quote von Männern in vielen Bereichen des Berufsalltages.

     

    Viele Frauen haben dagegen aufbegehrt. Auch das ist in Ordnung. Ein hoher Prozentsatz (40%)der Frauen bevorzugt heute immer noch die klassische Hausfrauenrolle. Auch das ist in Ordnung. Im Jahre 2010 lag die Erwerbsarbeit der Frauen bei etwa 60 Prozent - da wird eine Angleichung der begehrten Posten in den Chefetagen ohne den politischen Hebel einer Quotenregelung noch einige Zeit brauchen.

     

    Ich kenne kaum eine oder einen, der wegen seines Geschlechtes auf solch einen Posten kommen möchte. Aber umgekehrt nun jeden Mann zum Quotenmann abzustempeln halte ich auch nicht für besonders bewusst. Männer werden in der Regel nicht wegen ihres Geschlechtes für diese Ämter ausgewählt, sondern wegen ihrer Qualifikation und ihres Engagements. Das Bild dürfte sich aber in den nächsten Jahren ändern. Ich finde es richtig, wenn Frauen sich eine Spitzenposition erarbeiten.

  • H
    Holladienachtfee

    Ach so, und das Artikelchen beim nächsten Mal dann vielleicht besser ins Tagebuch...

  • H
    Holladienachtfee

    "Sie sind die Quotenmänner ihres jeweiligen Old Boys Clubs."

     

    Immer wieder dieses wohl einzige "Argument" der Quotenfreunde. Ach halt, ich habe vergessen: "Glasbarriere". Auch so ein Hammerargument.

     

    Egal dann, dass die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen bei Freiberuflern sogar größer sind als bei Angestellten; dass die IT-Revolution fast ausschließlich von Männern getragen wurde und die entsprechenden Unternehmensgründungen von Männern vorgenommen wurden; dass Frauen aufgrund der hohen Lebenserwartung den größeren Teil des Kapitals kontrollieren und alle Möglichkeiten haben müssten, u.a. diejenige, selbst Unternehmen zu gründen; dass die statistische Varianz der Begabung bei Männern nachgewiesenermaßen größer ist als bei Frauen (es gibt mehr Volltrottel, aber auch mehr Genies). Nein, "Old Boys Club" und "Glasbarriere" (ohne weitere Belege) sollen "Argumente" genug sein für eine Quote.

     

    "Der Kriterienkatalog der Old-Boys-Quote wird nicht veröffentlicht, er ist offensichtlich: Bei der Rekrutierung von Führungspersonal sind Kandidaten zu bevorzugen, die uns möglichst ähnlich sind. Junge, smarte Frauen nehmen wir schon mal mit."

     

    Also werden sie doch mitgenommen oder was? Nun soll die Ähnlichkeit also eine der politischen Einstellung sein? Inwiefern rechtfertigt das dann eine Frauenquote? Oder wollen Sie eine Ideologiequote einführen? Gabs auch schon mal...

     

    So, mal wieder was zu diesem Thema. Kommt vor lauter Demokratieabschaffung ja ganz unter die Räder.

  • G
    guggelhupf

    "Alle Männer, die derzeit in Vorständen sitzen, sind Quotenmänner, sofern sie Männer sind."

     

    Alle Männer aber nur sofern sie Männer sind? Was sollten Männer denn sonst sein als - Überraschung - Männer. Es geht bergab mit dem Journalismus.

  • AB
    Arne Babenhauserheide

    Wenn mich jemand fragen würde „stell dir vor, du bist Quotenmann“, würde ich schlicht antworten: „kriege ich dadurch einen Job, den ich mir wünsche und anders nicht kriegen würde?“

     

    Und wenn ja: Dann ist mir das Egal. Lieber Quotenmann und den Job, den ich will, als keine Quote und einen Scheißjob.

     

    Ich würde sogar noch weitergehen und sagen: Wenn ich als Quotenmann dadurch, das sich was mache, das mir Spaß macht, helfen kann, die Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft zu fördern, dann ist das eine klare Win-Win-Situation. Toller Job und etwas gesellschaftlich wichtiges tun.

     

    Jepp, würde ich machen. Wenn mir der Job gefällt.

  • J
    Jojas

    "Man muss seine Thesen ja irgendwie verkaufen: "Stell dir vor, du wärst der Quotenmann!" Das Problem liegt in der stockkonservativen Affirmation des Gegebenen, die sich der eigenen Blindheit gegenüber den herrschenden Strukturen noch nicht mal bewusst ist."

     

    Vielleicht bin ich ja auch blind, aber ich verstehe nicht, warum der Satz "Stell dir vor, du wärst der Quotenmann!" eine stockkonservative Affirmation des Gegebenen sein soll. Könnte mir vielleicht jemand, der das genauso sieht wie der Autor, erklären bitte?

  • G
    gesche

    Wow, guter Text!

  • ER
    Erwin Rülps

    Wär das Thema nicht jenes, bei dessen blosser Erwähnung vollendete Hurmorlosigkeit aller Diskutanten garantiert ist, würde ich diesen Artikel für eine mittelgelungene Linksklischee-Selbstparodie halten.

    Andererseits ist es ein taz-Kommentar, also eigentlich per Definition schon so etwas wie klischeelinke Realsatire.