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Kolumne NebensachenWarum Japans Männer gerne schwitzen

Sven Hansen
Kolumne
von Sven Hansen

Einst kamen Japans Männer mit Anzug, Schlips und Kragen auf die Welt. Das ist Vergangenheit. Die neue Kampagne der Regierung heißt "Cool Biz" - da machen alle mit.

Z ur Etikette japanischer Geschäftsleute gehören dunkle Anzüge, weiße Hemden und Krawatten. In dem Land, das Konformität schätzt, gilt die Uniformität der Kleidung als Wert an sich.

Wer je im morgendlichen Berufsverkehr Tokios Bahnhof Shinagawa passierte, möchte fast glauben, Japans Männer kämen mit Anzug, Schlips und Kragen auf die Welt. Doch es ging den Schlipsen an den Kragen.

Waren sie einst Zeugnisse von Konformität und Uniformität, gilt das jetzt für ihr Fehlen. Diese Lockerheit fällt vielen an Etikette gewohnten Japanern nicht leicht. Es half auch nicht, dass die Initiative von einer Frau ausging. 2005 lancierte die damalige Umweltministerin Yuriko Koike eine "Cool Biz" genannte Kampagne, um in den Sommermonaten Energie zu sparen.

Bild: taz
SVEN HANSEN

ist Asien-Redakteur im Auslandsressort der taz.

Sie forderte dazu auf, die Klimaanlagen in den Büros zwei Grad wärmer einzustellen. Dafür sollten die Angestellten auf ihre Krawatten verzichten. Der damalige Premier Junichiro Koizumi ließ sich dafür demonstrativ in kurzärmeligem Hemd ohne Krawatte ablichten. In Behörden erging Ende September die Anordnung, auf Krawatten zu verzichten.

Doch dies war nur ein Vorspiel für das, was in diesem Sommer nach der Atomkatastrophe von Fukushima folgte. Jetzt musste Japan drastisch Energie sparen. Es galt, Produktionsausfälle zu verhindern, die sich wegen des Elektrizitätsmangels nach dem Ausfall des Atomstroms einstellten.

Die AKWs erhalten erst nach einer Sicherheitsprüfung wieder eine Betriebserlaubnis, die die Behörden momentan kaum erteilen. Deshalb startete die Regierung die Kampagne "Super Cool Biz": Klimaanlagen wurden noch wärmer eingestellt und in Büros die meisten Leuchtstoffröhren entfernt. Zeitungsannoncen zeigten lächelnde Beamte ohne Krawatte. Selbst Polo-Shirts und bunte Kariyushi-Hemden aus Okinawa, vergleichbar mit Haiwaii-Shirts, sind okay.

Wer noch Krawatte trägt, wird garantiert durch Schwitzen bestraft. Dafür darf er sich auf den Winter freuen: Ab 1. November sollen die - oft elektrischen - Heizungen kälter gestellt werden als sonst. Bei "Warm Biz" ist 20 Grad das Maximum. Dann könnten sogar Krawatten vorübergehend zurückkehren.

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Sven Hansen
Auslandsredakteur (Asien)
Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

5 Kommentare

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  • K
    Kluchscheißer

    Nicht nur die Japaner, auch die Berliner schwitzen anscheinend gern. (Achtung, Hauptstadtbashing!)

     

    Als Süddeutscher, der den Feiertag "Allerheiligen" mal wieder für ein verlängertes Wochenende in "arm, aber sexy" genutzt hat, ist mir aufgefallen, wie sehr in Berlin alles* überheizt ist: die Privatwohnungen, die öffentlichen Gebäude, die Kaufhäuser, die U- und S-Bahn -- es ist grauslich, überall läuft einem die Brühe. Und wenn ich mich äußere, es sei zu warm, wird erstmal das Fenster aufgemacht!

     

    Leute, man braucht keine Raumtemperatur von 25 Grad, damit man im coolen T-shirt rumlaufen kann -- etwas kühler ist cooler. Und spart Energie.

     

     

     

    *Gut, die Wohnungen von Textman und mo jour anscheinend nicht, aber da war ich ja auch nicht.

  • MJ
    mo jour

    ich bin erwerbslos. die wohnung auf mehr als 17, 18 grad celsius zu heizen, das kann ich mir sowieso nicht leisten. im vergleich zu vielen anderen menschen auf diesem planeten habe ich es damit aber immer noch muckelig warm im winter.

     

    es geht vielleicht gar nicht so sehr um die frage, welche temperatur angenehmer oder angemessener ist.

     

    vielmehr frage ich mich: was macht es mit der psyche der japanerInnen, quasi per gesetz individueller aussehen zu müssen? das ist ja schon an sich ein paradox.

     

    ich habe selbst länger in japan gelebt und dort die erfahrung gemacht, dass der/die einzelne sehr viel halt und kraft zieht aus der 'uniform' und dem damit verbundenen umstand, dadurch für sich selbst und auch für andere zweifelsfrei erkennbar einer gewissen gruppe anzugehören.

     

    das streben nach individualität ist weniger ausgeprägt als bei uns, wird meist auch nicht als ein für die gesellschaft nützlicher wert angesehen.

     

    vielleicht tut ihnen die lockerere kleidung ja aber auch gerade mal richtig gut, wo sie doch sonst so oft eingeklemmt sind im korsett gesellschaftlicher konventionen?

     

    in japan übrigens hatte ich es noch kühler als jetzt: ich wohnte in einem alten traditionellen haus aus holz, mit papierfenstern und ohne zentralheizung. im winter saß ich dort oft genug bei minustemperaturen mit handschuhen am schreibtisch, weiße atemwolken vor dem gesicht.

  • C
    Conrado

    Ich war bis Juli diesen Jahres in einer regierungsnahen Bank in Tokio beschaeftigt. Vom 1 Juni bis 15 September war dort, wie in allen anderen Bueros des oeffentlichen Dienstes, Krawatten tabu. Juengere Kollegen wurden vor dem 1 Juni zu potentiellen Stoerelementen wie mir als Auslaender geschickt, um darauf hinzuweisen. Nur bei Kundenkontakten wurde Krawatte getragen. Das alles war usus, auch vor Fukushima, und hat m.E. mit Cool Biz nichts zu tun. Cool Biz sollte auch Privatunternehmen zu Aenderungen motivieren. Inwieweit das gelungen ist, kann ich nicht sagen. Also: Krawattenlose Angestellte in der Tokioter U-Bahn sind im Zweifel Staatsdiener, solche mit Krawatten wahrscheinlich bei privaten Banken beschaeftigt. Ganz simpel.

  • S
    Susi

    Ich brauch bei 22° immer noch Pulli und Wolldecke um es ausreichend warm zu haben.

     

    Dennoch halte ich den Kleidungs-Ettikette-Wandel in Japan für gut. Ist doch nen Wahnsinn so stark runter kühlen zu müssen, damit man in Sakko und Krawatte nicht schwitzt. Da ist die kurzärmlige Variante sicher um einiges besser.

  • T
    Textman

    20 grad Raumtemperatur ist völlig ausreichend, im Winter halt mal den Pulli anlassen und abends ne Wolldecke überwerfen. Während unserer Abwesenheit in der Wohnung, bzw. in den Schlafräumen reichen auch lockere 16-17 Grad aus. Ich bekomme immer nen Föhn wenn ich im Winter bei Leuten bin die meinen in der Wohnung müssten tropische Temperaturen herrschen,und sich womöglich noch gleichzeitig über die hohen Heizkosten erregen.