Kolumne Marx 2.0: Wie ein wilder Stier
Die Wahrheit über die "Operation Guttenberg" - und was sich die Merkel dabei gedacht hat.
N un ist schon mehr als eine Woche vergangen, und er ist immer noch im Amt, der unsägliche neue Wirtschaftsminister. Der Glos-Nachfolger. Die Karikatur. Der Mann mit den Plastikzähnen, den Harald Schmidt schon in der ersten Sendung - viele werden folgen - final versenkt hat. Und den niemand wollte. Und der keine Kompetenz in Wirtschaftsfragen besitzt.
Sodass die Frage erlaubt ist: Wo liegt der Sinn der ganzen Operation?
Die Antwort hat allein mit unserer Kanzlerin und ihrem beispiellosen Gespür für die Physik der Macht zu tun. Sie weiß: Mit dieser Knallcharge Guttenberg schießt sich die CSU nicht nur ins Bein, sondern direkt in den Kopf. Diese Brüder aus dem Süden sind nun ein für allemal erledigt. Das schwächt die Union zwar insgesamt, und nicht nur rein rechnerisch.
Aber genau durch diese Schwächung wird der eigentlich schon bombensichere Wahlsieg des bürgerlichen Lagers verhindert. Als gute (heimliche) Sozialdemokratin sabotiert sie den Durchmarsch von CDU/CSU und FDP, den Triumph von Friedrich Merz, Roland Koch und Guido Westerwelle.
Auch im künftigen Kabinett werden keine schneidigen, machthungrigen, egoprotzenden neuen CDU-Männer sitzen, sondern liebe Frauen jenseits der 50 aus der SPD, dazu ein paar Hanseln aus den eigenen Reihen, Typen wie Glos, die sich freiwillig die Haare grau färben, um älter zu wirken.
Mit anderen Worten: Die große Koalition wird gerettet. Eine Regierungsform also, in der die Merkel zum Superstar heranreift, ganz automatisch, ohne Gezappel und Gedöns. Da kann Sarkozy noch so viel probieren, oder welcher andere Staatschef auch immer: Am Ende wird es im alten Europa nur noch eine Telefonnummer geben, die Obama im Kopf hat, wenn er etwas besprechen will bezüglich unseres Kontinents: die von "Angela".
Das Gute daran: Das wird uns allen nützen, denn Angela Merkel ist eine hervorragende Kanzlerin. Nota bene die einzige politische Person, die ein massenhaftes Herumwälzen unserer Soldaten im Todesbad Afghanistan auch weiterhin und völlig unauffällig verhindern wird. Man kann sich ruhig einmal die circa 2.000 Kommentare durchlesen, die Politiker aller Parteien zur Amtseinführung des neuen US-Präsidenten abgegeben haben. Circa 1.999 haben die felsenfeste Erwartung geäußert, Obama werde selbstverständlich ein größeres, seriöseres, mutigeres, engagierteres, verantwortungsvolleres, zahlenmäßig weit voluminöseres und robusteres Vorgehen unserer herrlichen jungen Soldaten am Hindukusch fordern.
Da müsse man jetzt durch, deutsche Drückebergerei werde es bei einem so wunderbaren neuen Präsidenten nicht mehr geben können. Nun heiße es endlich und unmissverständlich: Feuer frei! Es lebe der Krieg! Hurra Deutschland! Dieses Lied wurde immer lauter angestimmt, von Tag zu Tag schwoll der schöne Männerchor weiter an, schwappte durch die Parlamente wie eine gigantische La-Ola-Welle, nur … nur sagte Obama nichts dergleichen.
Bis heute scheint er sich diesem Wunschdenken nicht anzuschließen. "Angela" selbst dürfte ihm am Telefon einen entsprechenden Wink gegeben haben, wie seinem Vorgänger ("Listen, Double-U, the Uckermark has no frontier with Afghanistan, we can not shoot with our panzers to them").
Doch nun zum schlechten Teil der Operation Guttenberg. Die Medien werden Merkels Fäden weder erkennen noch aufnehmen. Sie werden sich nur brüskiert fühlen durch diesen scheinbaren Fehlgriff, nach dem Motto: Guttenberg, wie peinlich ist das denn?!
Wütend werden sie losbelfern nach der dritten verpatzten Pressekonferenz und sich auf den neuen Mann einschießen wie vorher auf den armen Glos, dessen einzige Schwäche eine zu schleppende Stimme war. Ich finde das beschämend. Glos hatte die Klasse, solchen Spott zu ertragen. Der neue Mann wird um sich schlagen wie ein Stier in der Arena.
Ich will das nicht sehen.
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