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Kolumne MärchenIm Auftrag der Vöglein

Ein geheimnisvoller See, ein rätselhafter Kobold und Corinna S.: Die vorerst letzte Geschichte aus der Märchenwelt.

Bild: taz

Corinna Stegemann ist Wahrheits-Redakteurin der taz.

Vor vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da begab es sich einmal, dass die Frühlingsluft duftete, die Vöglein in den Zweigen ihr fröhliches Lied zwitscherten und einer Passantin, die zufällig gerade vorbeilief - nennen wir sie einfach Corinna S. - zuriefen: "Auf, hinaus ins weite Land! Schnür dein Bündel und mache dich auf den Weg, den Müggelsee zu suchen." Corinna S., die nun zufällig der Sprache der Tiere mächtig war, dachte bei sich: "Ei, so will ich tun, wie die Vöglein mir geheißen haben, aber nicht allein will ich losziehen, sondern mir einen starken Gefährten zur Seite stellen." Und so klopfte sie an die hölzerne Tür des großen Stadtchronisten, damit der sie begleite. Des Chronisten Kutsche wurde aufgetankt und schon ging die Reise los.

Nach zehn Metern allerdings stellte sich heraus, dass weder Corinna S. noch der Chronist wussten, wo eigentlich dieser Müggelsee, den zu suchen sie die Vöglein ja beauftragt hatten, wo also dieser See nur so ungefähr zu finden sei, und im Besitz von Landkarten waren beide auch nicht. Spaziergänger vermuteten den See irgendwo im Wedding, andere wieder in Köpenick - Corinna S. und der Chronist ließen die Würfel entscheiden und begaben sich in Richtung Köpenick. Nach nur dreistündiger Irrfahrt war der See gefunden und umrundet und es stellte sich die Frage, was nun, da die Aufgabe der Vöglein erfüllt war, anzufangen sei, und ein Spaziergang ward beschlossen. Nun schritten die Abenteurer frohen Mutes den Weg entlang, als ihnen etwas Unvorstellbares entgegenkam. Nicht Mann, nicht Frau, nicht Kind, aber auch kein Tier. Es war ein Wesen mit einer riesigen Reisetasche, langen Armen und Beinen und wuscheligem Schopf, der unter einem großen Hut hervorquoll. Lauthals heulend, Tasche schleppend, klagend und wimmernd, herzzerfetzend jammernd und weinend mit schlackernden Armen schleppte sich das Wesen an Corinna S. und dem Chronisten, die ihm mit offenen Mündern nachblickten, vorbei, bis es sich schließlich mitten auf den Gehweg setzte und noch lauter und elender zu weinen begann.

Vorsichtig näherten sich Corinna S. und der Chronist dem Wesen und stellten fest, dass es sich dabei eigentlich um nichts anderes als um einen Kobold handeln könne. Da beide glücklicherweise der Koboldsprache mächtig waren, setzten sie sich dem Kobold an die Seite und fragten ihn, ob sie ihm vielleicht irgendwie helfen könnten, aber er reagierte nicht, weinte nur laut und schrecklich, Tränenbäche stömten über seine Koboldwangen, Rotz aus seiner Koboldnase - es war zum Mitheulen. Die Sonne brannte den drei seltsamen Gesellen auf die Häupter. Ununterbrochenes, lautes, wirres, tränen- und rotzreiches Jammern und Klagen und Heulen und Stammeln zerrte an den Nerven der Koboldhelfer. Doch nach gefühlten zwanzig Minuten hatten Corinna S. und der Chronist immerhin verstanden, dass der Kobold seine Luftmatratze zurückhaben wollte, gerade aus irgendeiner WG geflogen war, weil die anderen Mitbewohner nicht einsehen wollten, dass er die Luftmatratze mitnehmen wollte. Außerdem hatte der Freund des Kobolds einen Anfall gehabt und jetzt tat dem Freund der Arm weh! Das wollten die Mitbewohner auch nicht einsehen! Außerdem wollte der Kobold a) nach Hause, b) zurück in die Klinik. Und wäre auch damit einverstanden, wenn der Chronist ihn dorthin fahren würde. Nur waren "nach Hause" und "die Klinik" "irgendwo" in zwei verschiedenen Stadtteilen, die der Kobold aber nicht näher zu benennen wusste. Und während Corinna S. und der Chronist noch rätselten, was zu tun sei, kam die Straßenbahn, der Kobold beruhigte sich, hüpfte kichernd hinein und winkte den beiden verblüfften Helfern zum Abschied lachend zu.

Corinna S. aber und der Chronist standen noch lange da und blickten wortlos und mit Fragezeichen in den Augen der Straßenbahn nach, während die Vöglein zu ihren Häuptern ihr fröhliches Lied zwitscherten.

Und wenn sie nicht gestorben sind, so stehen sie dort noch heute. ENDE

Fragen zum Kobold? kolumne@taz.de Morgen: Jan Feddersen PARALLELWELTEN

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