Kolumne Männer: Full Metal Jacket II
Selbstironie ist eine Illusion. Kein Mensch kann über sich lachen. Das lerne ich gerade.
E igentlich bräuchte ich einen Anstecker, wie Auszubildende ihn mitunter tragen müssen. Auf denen steht meist so was wie "Fleischer-Fachgeschäft Vollmer in Rosendahl-Darfeld: Ich lerne noch." Auf meinem Schildchen müsste zu lesen sein: "Menschheit: Ich lerne noch." Diesen Button könnte ich, anders als die angehenden Fleischereifachangestellten, niemals ablegen. Denn mein Erstaunen darüber, was Menschen tun und lassen, wächst mit zunehmendem Alter. Vor allem die Verwunderung darüber, was sie zornig macht.
Anfang des Monats beschrieb ich an dieser Stelle, wie ich eine Heavy-Metal-Kneipe in Berlin besuchte. In meiner Glosse mit dem Titel "Full Metal Jacket" plauderte ich über das, was mir auffiel: die Verwandtschaft von 80er-Jahre-Metal und Operetteninszenierungen beispielsweise. Oder die muffige Spießigkeit, die der Metal-Szene wie jeder geschlossenen Gesellschaft anhaftet. Um nicht als naserümpfender Knilch dazustehen, denunzierte ich mich selbst als Typen, der aussieht wie ein FDP-Politiker. Die Reaktionen waren so interessant, dass mein Kolumnentext, anders als der gleichnamige Kinofilm, nun eine Fortsetzung erfährt.
Auf taz.de schmähte mich ein Leserbriefschreiber als Menschen, der aussehe wie "Guidos Intimfreund". Das sollte wohl eine Beleidigung sein. Sie wäre origineller gewesen, hätte ich einen ähnlichen Scherz nicht selbst über mich gemacht - nur ohne die irritierend homophobe Andeutung. Kommentator "Tyler Durden" wiederum mutmaßte, ich hätte wohl einen "Zombielebenslauf", der mich dem "wahren Leben" entfremdet habe. Aber wer erwartet denn von einem Zombie die Teilnahme am wahren Leben? Ich bin doch schon tot. "Corpsepainter Bunny" wiederum klärte mich auf, er habe Haarausfall und seine Ace-of-Base-Alben längst verkauft, seine Metal-Alben aber hege er bis heute. Ob dies nicht für die Qualität von Heavy Metal spreche. Auf diese Frage weiß ich tatsächlich keine Antwort.
Matthias Lohre ist Parlamentskorrespondent der taz.
Warum ich das alles hier erwähne? Es soll meine neue Lieblingsthese illustrieren: Menschen sind nicht in der Lage, wirklich über sich selbst zu lachen. Absolut unmöglich. Wenn mir jemand sagen würde: Du siehst überhaupt nicht aus wie ein FDP-Politiker, du siehst aus wie Peter Frankenfeld heute, dann wäre ich leicht angegangen. Niemand mag es, wenn über das, was ihm wichtig ist, Scherze gemacht werden. Und sei diese geistige Habseligkeit noch so lächerlich. Das illustriert ganz gut der Karikaturenstreit oder die Faust des Medienphänomens Moses Pelham in Stefan Raabs Gesicht. Ich finde es nicht gerade beruhigend, dass sich eine nennenswerte Anzahl offiziell ausgewachsener Menschen über ihr Interesse an einem Musikgenre definiert. Noch dazu an einem, das vor allem aus dem schnellen, effektvoll inszenierten Spielen von Kirchentonleitern besteht. Wo kauft man eigentlich solche Azubi-Anstecker?
Ich frage mich, worüber sich Menschen sonst noch definieren. Deshalb bemühe ich jetzt einfach mal, Sie wahllos zu provozieren. Also: Nicht Ihr neues Kleid macht Sie fett, Ihr Fett macht Sie fett. Wer sich über die Niederlage einer Fußballmannschaft echauffiert, dem sollte das Wahlrecht aberkannt werden. Yoga ist bloß mit reichlich Ethno-Schnickschnack aufgehübschte Gymnastik. Wer "Star Wars" gut findet, ist charakterlich unterentwickelt. Rudi Dutschke hatte dieselbe Frisur wie der Typ in "No Country for Old Men", aber nur dem Killer stand sie. Und Veronica Ferres ist schlimmer als Adolf Hitler, ich weiß nur nicht, worin. War was für Sie dabei? Melden Sie sich! Aber bitte schicken Sie nur ernstgemeinte Zuschriften.
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