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Kolumne MännerStärke in Herrengröße ist ausverkauft

Matthias Lohre
Kolumne
von Matthias Lohre

Während „starke Frauen“ sich nackt fotografieren lassen, rauben „starke Männer“ Touristen aus. Mit Gleichstellung hat das nichts zu tun.

Es gibt viele schöne Gründe, Menschen aufgrund von Oberflächlichkeiten abzuurteilen. Aufzeichnung zur Show „Schlager des Jahres“. Bild: dapd

W ie gefällt Ihnen folgender Liedtext? Räusper: „Mann unter vielen Frauen / Hast’s nicht leicht gehabt / Und die großen Träume / haben meist nicht geklappt. / Du bist immer wieder aufgestanden / Du hast so oft ganz neu angefangen / Dass du geweint hast, ist wahrscheinlich / Doch starke Männer weinen heimlich.“ Sollte das Schicksal Sie bislang gnädig behandelt haben, (sollten Sie also die Achtzigerjahre und ihre Schlagersendungen nicht erlebt haben), dann könnte Ihre Antwort so lauten: „Kommt das von so ’nem Freak aus einer dieser beknackten Männerparteien?“ Das schrieb mir eine junge Facebook-Bekannte, als ich diese Zeilen in meinem Profil platzierte.

Hat Sie die vielgeschmähte Gnade der späten Geburt hingegen übersehen, dann wissen Sie vielleicht, dass der vermeintliche Männerparteienfreaksong von Hanne Haller stammt. Einziger Unterschied: Wo hier „Mann“ und „Männer“ steht, sang das Schlagersternchen 1986 wehmütig von „Frau“ und „Frauen“. Ich habe die Wörter ausgetauscht. Was ich mit dem Wortwechsel sagen möchte: In der öffentlichen Wahrnehmung macht es einen Heidenunterschied, ob von „starken Frauen“ oder „starken Männern“ die Rede ist. (Auch wichtig zu wissen: Eigentlich höre ich keinen Schlager.)

Ich habe mal „starke Frauen“ in der Archivsuche eingetippt. „Starke Frauen“ sind demnach solche, die sich von der Fotografin Herlinde Koelbl nackt in Schwarz-Weiß fotografieren lassen. Ein Feuilleton-Artikel in der FAZ über Flugblätter im 17. Jahrhundert begann vor Kurzem mit dem Satz: „Starke Frauen und ängstliche Männer, ergebene Weibchen und tyrannische Gatten gehören zur Vielfalt menschlicher Natur.“ Starke Männer – was immer das genau sein mag – gehören demnach nicht zur menschlichen Natur.

Die Lieblingsschwester der „starken Frau“ ist die „mutige Frau“. Sie findet beispielsweise in der taz Erwähnung, wenn sie als syrische Mutter Ehemann und Söhnen was zu essen macht, damit diese sich im Bürgerkrieg satt massakrieren lassen können. Titel: „Kochen für die Revolution“.

Bild: privat
Matthias Lohre

ist Parlamentsredakteur der taz.

„Starke Männer“ hingegen sind nicht solche, die den Schneid haben, sich nackt fotografieren zu lassen. Sondern a) Kerle, die Touristen in Kiew ausrauben. Oder b) afrikanische Diktatoren. Oder c) kroatische Mafiosi. Positiv besetzte Stärke in Herrengröße ist ausverkauft.

Finden Sie die Bemühung des Adjektivs „stark“ nicht auch merkwürdig? Wenn es einer besonderen Erwähnung bedarf, dass eine Frau „stark“ ist, heißt das doch, dass Frauen normalerweise nicht stark sind, also schwach. Dass der übliche Aggregatzustand von Frauen „schwach“ ist, glaube ich aber genauso wenig, wie, dass ein starker Mann einer ist, der Kenia knechtet.

Wahre Gleichstellung der Geschlechter wird erst herrschen, wenn wir Menschen nicht allein aufgrund ihres Geschlechts einen moralischen Wert zu- oder absprechen. Es gibt doch viele schöne Gründe, Menschen aufgrund von Oberflächlichkeiten abzuurteilen. Zum Beispiel, weil sie Schlager hören.

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Matthias Lohre
Schriftsteller & Buchautor
Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wurde von der Kritik gefeiert. Anfang 2025 veröffentlichte er seinen zweiten Roman "Teufels Bruder" über Heinrich und Thomas Mann in Italien.
Themen #Männer
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7 Kommentare

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  • S
    Susanna

    Ich würde ja behaupten, dass man Männer wie Barack Obama oder auch seinerzeit Gorbatschow als starke Männer im positiven Sinne wahrgenommen werden. auch Jean Ziegler evtl.

    Ich weiß schon, was du meinst, aber aus meiner Perspektive sind die "starken" Frauen, von denen du redest (zum beispiel die in den Nacktfotos) ja erst mal auch nur im Klischee stark.

    Tatsächlich starke Menschen gibt es selten und wenn, dann merkt man es sofort, egal ob Männer oder Frauen.

    Das Probem an dem Artikel finde ich (und ich neige auch oft zu diesem Problem), dass wenn man sich durch klischeehaftes Denken benachteiligt fühlt, man meistens auch schon im klischeehaften Denken feststeckt.

  • F
    Frieda

    Oh, wie fein beobachtet.

    Ich finde diese Zuschreibungen auch unangebracht - für beide (alle?) Geschlechter.

    Wieder ein sehr erhellender Artikel! Danke!

  • O
    ole

    Sehr schön beobachtet. Kann mich user Sam nur anschließen.

  • D
    dieter

    Da gibt es so viele Missverständnisse, beim Thema stark sein.

    Rumbrüllen wird ja auch oft mit Stärke verwechselt.

    Uwe Schünemann (Innenminister Niedersachsen) wird zum Beispiel immer wieder als "harter Hund" und als besonders stark dargestellt, weil er auf Grund seiner bemitleidenswerten Xenophobie auf Alles eindrischt, was nicht blond und blauäugig ist.

    Dieser arme, angstgesteuerte und einsame Mensch ist also ein Ausbund an Stärke, wenn man nicht zwischen den Zeilen lesen kann...

  • S
    Sam

    Danke, Matthias Lohre!

    Eins ist klar: Sie wären endlich mal jemand, der für den Job als Gleichstellungsbeauftragter geeignet wäre. Tja, aber leider haben Sie das falsche Geschlecht und Sie treten für tatsächliche Gleichberechtigung ein. Also leider vollkommen ungeeignet für diesen Job, vor allem im öffentlichen Dienst.

    Aber dann bleiben mir ja hoffentlich Ihre Kolumnen in der taz erhalten. Wo kann ich noch mal zahlen...?

  • M
    Männersversteher

    Endlich mal ein Artikel zu diesem Thema von einem Mann geschrieben!

    Vielen Dank, Bruder im Geiste.

  • N
    Naja

    Oh, Herr Lohre....was erlaube....

     

    Sie habens genau erfasst.

    Wenn Sie jetzt noch die üblichen verdächtigen TV-Medien (eigentlich Alle) in ihren Morgen, Mittags oder Abend Magazinen (die von starken Frauen moderiert werden) beobachten, werden Sie folgendes feststellen:

    Eine Frau die auch nur halbwegs einen Nagel in die Wand kriegt wird gefeiert als "taffe Powerfrau" oder es wird von "Frauenpower" gefaselt. Was auch immer das sein soll.

    Das schlimmste sind aber Männer die im vorauseilenden Gehorsam schon mal behaupten "Bei uns zu Hause mach ich das was meine Frau sagt"... Brüller..

    Stellen Sie sich das mal umgekehrt vor....uhhh..