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Kolumne MachtEine Frage des Filterns

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Die Forderung von Innenminister Hans-Peter Friedrich nach einem Ende der Anonymität im Internet ist nicht nur naiv. Sie ist herzlos.

D ie Nachricht vom Tod des Schauspielers Dirk Bach war gerade zwei Stunden alt, da fanden sich im Netz die erwartbaren Beleidigungen: „Wenn alle diese doof-tv affen verrecken, dann würde es mich nicht im geringsten jucken!!!“ Und: „Wenn so ein Volksverblöder abtritt, dann heult die Meute!!“ Neun Wörter, ein Komma, zwei Ausrufezeichen – schon ist nicht nur der Tote geschmäht, sondern zugleich alle, die seinen Tod bedauern. Offenbar hat das ein sprachbegabter Troll geschrieben. Mächtig stolz wird er auf sich gewesen sein.

Ach, soll er! Man kann Leute nicht daran hindern, das Netz zu nutzen, um anonym Frust, Wut und sogar Hass loszuwerden und zu verbreiten. Vielleicht sorgt dieses Ventil ja sogar dafür, dass irgendwo ein Obdachloser nicht erstochen, irgendwo ein Ausländer nicht verprügelt wird. Das wäre unflätige Beschimpfungen in obskuren Foren wert.

In anderer Hinsicht ist die Anonymität des Internets sogar nachweislich legitim und hilfreich. Um ein Beispiel zu nennen: Selbsthilfegruppen. Viele würden niemals wagen, im Netz um Rat zu bitten, wenn sie sich nicht hinter einem Nickname verbergen dürften. Schon allein aus diesem Grund ist die Forderung von Innenminister Hans-Peter Friedrich nach einem generellen Ende der Anonymität im Internet nicht nur naiv, sondern sogar herzlos.

Etwas aber ist die Forderung nicht: undemokratisch. Jedenfalls nicht in Deutschland. „Die Möglichkeit, sich anonym zu äußern, ist Voraussetzung dafür, dass es eine echte Meinungsfreiheit gibt“, behauptet Sebastian Nerz von der Piratenpartei. Der Satz widerlegt sich selbst. Man darf, wie das Beispiel von Herrn Nerz zeigt, nicht nur einen Minister angreifen, man darf sogar vollständigen Blödsinn äußern, ohne dass einem Schlimmeres widerfährt, als damit zitiert zu werden. Das kann allerdings peinlich genug sein.

Wir leben nicht in Kambodscha zur Zeit von Pol Pot, ungeachtet aller Mängel des Systems. Regierungsgegner landen nicht im Gefängnis, und dieses Schicksal droht auch Kritikern von Journalisten und Fernsehkomödianten nicht. In einer Sachdiskussion hat Anonymität nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern lediglich mit der Freiheit, andere Leute ungestraft beleidigen zu dürfen. Das ist kein Grundrecht. Aber muss sich der Staat da überhaupt einmischen? Warum können Qualitätsmedien und Qualitätsblogs das nicht eigenständig regeln?

Bild: Katharina Behling
BETTINA GAUS

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Ihre Kolumne „Macht“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.

Weil die Höhe der Klickzahlen über die Höhe der Werbeeinnahmen entscheidet. Ja, es ist wahr: Es kostet Zeit – also auch Geld – , eine Debatte zu moderieren. Noch mehr Zeit und Geld kostet es, anonyme Teilnehmer auszuschließen.

Printmedien klagen über Bedeutungsverlust durch das Internet. Dann müssen sie eben etwas dafür tun, wichtig zu bleiben. Anonyme Debatten, in denen nach Herzenslust getrollt wird, sind uninteressant für Leute, die sachlich an einem Thema interessiert sind. Wenn man sich als Medium also von jeder x-beliebigen Website unterscheiden will, dann geht nur eines: filtern. Zuschriften ähnlich streng wie Inhalte von Artikeln. Jedenfalls wenn man glaubt, dass das eigene Publikum etwas Wichtiges zu sagen hat.

Falls man Leserbriefseiten allerdings schon früher nur gedruckt hat, um Abonnenten glücklich zu machen, dann kann man Trollen getrost eine Heimat bieten. Man sollte sich dann nur nicht beschweren, dass das Internet einem die Existenzgrundlage raubt.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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21 Kommentare

 / 
  • RB
    Rainer B.

    @Urgestein

     

    Ihr Internet ist irgendwie anders als meins.

     

    Meine Tante würde dazu sagen:

    "Ein Lauscher hinter der Zimmertür ist mir lieber als einer, der vorm Haus die Blumen platt tritt."

  • U
    Urgestein

    @Rainer

     

    Sie haben es offensichtlich immer noch nicht verstanden.

     

    Wenn ich die Seite taz.de direkt aufrufe, kriegt das mein Provider mit. Wenn ich einen Proxy aufrufe und der die Verbindung zu taz.de herstellt, weiß mein Provider lediglich, daß ich einen Proxy aufgerufen habe, aber nicht, wohin der dann geht. Hier müssen dann schon Provider-Logs und taz.de-Logs gemeinsam ausgewertet werden, um Anhaltspunkte zu finden. Die taz.de Seite weiss aber nicht, an welchen Provider sie sich dabei wenden sollte.

     

    Gehe ich aber vom ersten Proxy auf einen zweiten, von dort auf einen dritten etc. (sog. "Kaskade") wird es immer schwerer, da nun auch die Proxy-Logs benötigt würden.

     

    "Moderne Anonymisierer setzen daher auf mehrere hintereinandergeschaltete Proxys, sogenannte Mix-Kaskaden. Hier werden die Daten mehrfach verschlüsselt und durch mehrere Rechner geleitet, wobei pro Rechner eine Verschlüsselung entschlüsselt wird. Erst am Ende der Mix-Kaskade werden die Daten lesbar. Da die Verbindungsdaten verschiedener Benutzer an jedem Glied der Kaskade neu gemischt werden, ist eine eindeutige Zuordnung jedoch unmöglich. Nur ein Angreifer, der alle Rechner in einer Mix-Kaskade kontrolliert, kann den Datenverkehr überwachen. Selbst wenn nur ein einziger Mix unversehrt bleibt, bleibt das Gesamtsystem sicher." (Wikipedia, "Anonymizer")

     

    Um ganz sicher zu sein, baue ich mir selbst einen Proxy, der Verbindungen nicht loggt.

     

    "Doch auch bei Mix-Kaskaden hat man keine Garantie, dass die verschiedenen Betreiber nicht doch zusammenarbeiten, selbst wenn sie in verschiedenen Jurisdiktionen liegen. 100 % sicher, dass nicht geloggt wird, kann man nur sein, wenn man selbst den Anonymisierungsdienst (also einen Mixknoten) betreibt, und so den Verkehr anderer und seinen eigenen mischt und anonymisiert. Damit man nun auch Verkehr von anderen bekommt, müssen diese den eigenen Knoten kennen und ihren Datenstrom durch ihn routen lassen. Auf dieser Philosophie basieren Mix-Netzwerke wie das P2P-Anonymisierungsnetzwerk I2P: Jeder Teilnehmer an dem Netzwerk routet fremden Traffic und mischt diesen mit dem eigenen, welchen er gleichzeitig wiederum von anderen Teilnehmern des Netzwerks (über sogenannte „Tunnel“) weiterleiten lässt." (Wikipedia, ebd.)

     

    Rechner-Hardware lässt sich maskieren und ist austauschbar. Ebenso wie Betriebssysteme und Browser. Über solche Daten auf einen bestimmten Nutzer schliessen zu wollen, ist etwa so genau, wie allein anhand von Farbe und Marke eines vorbeifahrenden Wagens ohne Nummerschild auf die Personalien des Fahrers schliessen zu wollen.

     

    Eine Anmeldung bietet auch keine hundertprozentige Sicherheit, Accounts können gehackt oder von anderen ohne Wissen des Inhabers mißbraucht werden - siehe z.B. eBay. Ist aber immernoch die sicherste Methode einer individuellen Zuordnung. Oder können sie sich eBay als völlig offene Plattform ohne Useraccounts vorstellen?

  • RB
    Rainer B.

    @IUrgestein

     

    Ein Proxy-Server, Anonymizer Software und Mix-Netzwerke können ihre Identifikation zwar erschweren, aber machen sie keinesweg unmöglich.

     

    Sie können ihre Nachrichten damit hinreichend sicher codieren/verschlüsseln. Ihr Provider ist jedoch immer dazwischen. Er kann ihnen genau sagen, wohin ihre Datenpakete gehen und von wem sie beantwortet werden.

     

    Neben der allseits bekannten IP-Adresse hinterlässt auch ihre Hardware (etwa die Netzwerkkarte) eindeutige Fingerabdrücke bei ihren Ausflügen ins Internet.

     

    Während hierzulande noch Scheindiskussionen über 'Vorratsdatenspeicherung' geführt werden, zeichnen zahlreiche staatliche, halbstaatliche und unverblümt kriminelle Organisationen ihre Datenspuren auf.

     

    siehe z.B. mal hier:

    http://www.europarl.europa.eu/comparl/tempcom/echelon/pdf/rapport_echelon_de.pdf

  • I
    IUrgestein

    @Rainer

     

    "Der Irrglaube, man könne sich im Internet irgendwie anonym bewegen..."

     

    Ist das nun grenzenlos naiv oder vorsätzliche Verdummung?

     

    Noch was von Proxies gehört? Oder Anonymizer Software? Oder von Mix-Netzwerken? Machen sie sich doch erstmal ein bisschen schlau, bevor sie hier solchen Unsinn posten. Und falls ihnen das alles zu technisch sein sollte, gehen sie einfach in irgendein kleines Internet-Cafe, in dem man ihnen noch nicht mit der Kamera über die Schulter schaut.

     

     

    Zitat Bettina Gaus:

    "In einer Sachdiskussion hat Anonymität nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern lediglich mit der Freiheit, andere Leute ungestraft beleidigen zu dürfen. Das ist kein Grundrecht."

     

    Das ist des Pudels Kern und genau der Grund, warum die Autorin vom einschlägigen Klientel diffamiert wird. An der Sachlage ändert das freilich nichts.

  • RB
    Rainer B.

    @Michael Schöfer

     

    Voll ins Schwarze getroffen Herr Schöfer. Einer der besten Kommentare, die ich seit langem gelesen habe!

     

    Der Irrglaube, man könne sich im Internet irgendwie anonym bewegen, ist seltsamerweise nach wie vor weit verbreitet. Da gibt's wohl mächtig Aufklärungsbedarf.

     

    Wenn 'Bettina Gaus' einen Artikel schreibt, dann kann darin die Meinung von Frau Gaus zum Ausdruck kommen, muß es aber doch nicht unbedingt. Gerade bei den Artikeln von Frau Gaus hab ich oft den Eindruck, Sie macht da mal einen Aufschlag, nur um zu sehen, welche Bälle zurückkommen.

     

    Zur Meinungsfreiheit gehört vor allem auch Meinungsvielfalt. Das Internet ist eine einmalige Chance, diese Meinungsvielfalt darzustellen. Nur mit Meinungen, die auch geäußert werden, kann ich mich auseinandersetzen. Allein der Zensor glaubt, die 'richtige' Meinung zu kennen.

  • F
    Frink

    Was soll denn das bedeuten: "Schluss mit der Anonymität im Internet."? Man ist im Internet doch überhaupt nicht anonym.

    Oder will Herr Friedrich, dass meine IP durch meinen Namen ersetzt wird?

    Der Typ hat doch nicht die geringste Ahnung vom Internet und von seinem eigenen schwachsinnigen Geschwätz.

  • U
    Urgestein

    @Michael Schöfer

     

    Nur die Hälfte zitiert und die auch noch aus dem Zusammenhang gerissen.

     

    (1) "...muss es sich allerdings um wahre Tatsachenbehauptungen oder zulässige Meinungsäußerungen handeln, d. h. es darf sich nicht um Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handeln."

     

    (2) "...gelten grundsätzlich die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes."

     

    Würde (1) in den Kommentaren tatsächlich beherzigt werden, gäbe es auch kein Problem mit den rechtsdrehenden Trollen, die wären dann nämlich gar nicht hier.

     

    Zu (2) führt der SPON aus: "Dass der BGH nun aber die Anwendbarkeit des Bundesdatenschutzgesetzes allerdings derart weit auslegt, betrifft nicht nur (...) Bewertungsportale, sondern prinzipiell auch Blogs und Internet-Foren. Denn auch dort werden oft und typischerweise Meinungen und Bewertungen zu anderen Personen abgegeben.

     

    Das aber könnte bedeuten, dass sich solche Angebote möglicherweise strengen Verfahren unterwerfen müssen. Sie müssten unter Umständen ihre Nutzer identifizieren (...) und die Betroffenen gesondert über die (...) Bewertung oder sonstige Kommentierung unterrichten."

     

    Dass heisst nichts anderes, als dass sich zum Beispiel die kleinen islamophoben Hassprediger und politisch inkontinenten Heckenschützen hier namentlich anmelden und überprüfen lassen müssen bevor sie irgendwen mit ihrer Schmähkritik überziehen dürfen und dass diese "wertvollen Meinungsbilder" den Geschmähten (im Falle pauschalisierender Hetze gegen ganze Bevölkerungsgruppen auch gerne dem jeweiligen Interessenverband) mitsamt der jeweiligen personenbezogenen Daten des Urhebers unaufgefordert zugestellt werden, damit diese sich dann überlegen können ob und in welchem Rahmen sie dagegen vorzugehen gedenken. Und das wäre wohl nicht die schlechteste aller Lösungen. Zumindest eine verfassungsrechtlich einwandfreie - im Gegensatz zum derzeitigen Zustand, wo jeder dahergelaufene Westentaschen-Goebbels sich ja wenigstens für einen verkannten "Julian Assange des patriotischen Widerstandes" zu halten scheint.

     

     

    Urteile sollten schon richtig gelesen und wiedergegeben werden. Man macht sich sonst schnell unglaubwürdig.

  • W
    Wannabe-VIP

    @ Tomate (06.10.2012 09:12),

     

    D’accord !

    Auch 'm-ein' Browser-taz-Lesezeichen wird zunehmend von der Del-Taste bedrängt (, was ich sehr bedauerlich finde; auch, weil Sie zweifelsfrei Recht haben mit: "Gerade da ist es häufig so, dass die (oder zumindest einige) Kommentare mehr Substanz haben als der kommentierte Artikel selbst.").

    Und mit Ihrer Vermutung ("bedeutende Einschränkung") dürften Sie richtig liegen, zumal (meiner Beobachtung nach) bereits seit längerem und zunehmend offenbar nicht auf der taz-(Autoren-)'Linie' liegende L.kommentare (die auch nicht gegen die taz-"Netiquette" verstoßen) nicht, oder (falls wiederholt gesendet) dann nur perchance (und vermutlich nur widerwillig) sehr verspätet doch noch freigeschaltet werden.

    Auf Nachfragen zu etwaigen Gründen einer persistenten Nicht-Freischaltung erhält man zuweilen von der taz sogar die Auskunft, dass der entspr. L.k. tatsächlich nicht (erkennbar) gegen die taz-Netiquette verstoße, man wisse nicht, warum er bislang nicht freigeschaltet worden sei, aber man habe den L.k. jetzt(!) freisgeschaltet – was allerdings nicht(!) zwingend bedeutet, dass der L.k. dann tatsächlich irgendwann online wäre. Bereits diese taz-interne Entwicklung provoziert 'm-eine' Del-Taste; sollte jene sich durchsetzen, blieben einem zumindest auch (zeit-)aufwendiger erstellte L.k. erspart – und die taz wäre (endlich?) im aalglatten mainstream angekommen und dürfte sich fortan nur noch im eigenen Saft suhlen.

  • A
    anke

    Was würde wohl George Orwell davon halten? Davon, meine ich, dass sein „Großer Bruder“ immer wieder als Ausrede herhalten muss?

     

    Wer sich nicht traut, seinen Namen unter einen Kommentar zu schreiben, weil er sich von Feinden umzingelt sieht, der darf es in Deutschland anno 2012 bleiben lassen. Das ist gut so, dann Psychiater, Psychologen und Therapeuten haben momentan Wartezeiten von bis zu einem dreiviertel Jahr. Wer meint, dass Vertrauen bei der Identifizierbarkeit anfängt, da aber noch lange nicht aufhört, der kann Gesicht zeigen. Auch das ist gut. Ich persönlich finde es sogar besser. Viel besser, meine ich. Für mich geht es nämlich nicht darum, Furcht zu verbreiten, die man selber empfindet. Furcht gibt es genug in der Welt. Es geht um Hoffnung. Und Hoffnung beginnt für mich da, wo Menschen stehen zu dem, was sie zu sagen haben. Wenigstens so lange, wie es noch nicht Kopf und Kragen kostet.

     

    Nein, das Schlimme an der Trollen ist nicht ihr schlechter Geschmack. Ich bin erwachsen genug, nicht nur meinen Hausmüll zu trennen, sondern auch eine Beleidigung (sei sie nun rassistisch, chauvinistisch, populistisch oder sexistisch) von einem beachtenswerten Kommentar. Und ich denke noch immer, dass auch andere Leute das könnten, wenn sie es nur ernsthaft versuchen würden. Meiner Ansicht nach ist die taz nicht verantwortlich für den Missbrauch, den ihre (ungebetenen) Gäste mit der Realität treiben. Sie ist lediglich für den eigenen Umgang mit dem Hier und Jetzt haftbar. Eine menge Dinge brauche ich also deutlich dringender als einen Zensor. Zum Beispiel das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich möchte gern glauben dürfen, dass auch diejenigen, die meine Kommentare lesen (müssen), in der Lage sind, Müll von Wertstoffen zu unterscheiden. Nicht so sehr, weil sie genialer als Einstein sind, sondern vor allem deswegen, weil sie davon ausgehen, dass sie selbst nicht als einzige in dieser Milchstraße was zu melden haben. Das Löschen unliebsamer Kommentare hilft mir dabei leider überhaupt nicht. Vor allem dann nicht, wenn es meine eigenen waren und ich absolut keine Idee habe, was ich falsch gemacht haben könnte.

     

    Übrigens: Wenn die taz findet, dass sie eher einen Zensor als einen Lektor benötigt zum Zwecke der Imagepflege, sei's drum. Man kann halt jeden Euro nur einmal ausgeben. Die Ergüsse beleidigter Troll-Leberwürste sind nicht weniger lästig als die üblichen Tippfehler und Wortwiederholungen, und fürs Selbstwertgefühl ist es wohl allemal besser, andere machen die Fehler, nicht man selbst.

  • H
    Harald

    "Etwas aber ist die Forderung nicht: undemokratisch. Jedenfalls nicht in Deutschland."

     

    Aha.

     

    Bettina Gauss macht es sich sehr einfach. Bedenklich einfach.

     

    Wir leben in einer Zeit, deren einziges Ziel darin besteht, umfassende und lückenlose Menschenkataloge in Echtzeit zu verwertbaren Profilen zusammenzuführen. Natürlich nur, um Freunde besser zu finden und von Freunden besser gefunden zu werden. Ist doch klar.

     

    Eine der letzten Zufluchten, dem politischen oder zahlungskräftigen Auge von ihrerseits hermetisch anonymen Datenprofilern zu entgehen, ist die mit der, immerhin, IP-Adresse versehen Teilnahme an Diskussionsforen.

     

    Mein Vorschlag an die taz: Macht's doch wie SPON. Dort wird die Kommentarfunktion immer öfter einfach abgeschaltet, welchem inzwischen mein Hauptinteresse an diesem Portal gilt. Also wo Kommunikation noch erlaubt ist - und wo nicht.

     

    Im Internet bildet sich eine Gegenöffentlichkeit, die sich nicht länger von der austauschbaren Politik-Medien Nomenklatura gängeln und infantilisieren lassen möchte. Das gilt es zu unterbinden. Jeder soll erfahren, wie mein Profil zusammengesetzt ist. Nur umgekehrt darf ich selbstverständlich nichts erfahren.

     

    Wie beim Einwohnermeldeamt. Wo seit vielen Jahren die kompletten Datensätze der Trolle auf Anfrage verkauft werden (zwischen 8.- und 15.-) ich als Troll aber selbstverständlich nicht erfahren darf, wer meine Daten angefragt hat.

     

    Um wie viel wertvoller werden die Datensätze mit politischem Zuverlässigkeitsprofil erst sein? Und gleichzeitig könnte beobachtet werden, daß, wer sich nicht öffentlich äußert, vermutlich etwas zu verbergen hat? Oder einfach so ist, wie sich der Politik-Medienbetrieb den 'demokratischen' Troll wünscht: Er/sie soll einfach die Fresse halten, nicht?

  • MS
    Michael Schöfer

    "Auch Meinungen, die lediglich unter einer E-Mail-Adresse oder auch anonym im Internet abgegeben werden, genießen den Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG."

    (OLG Köln, Urteil vom 03.07.2008, Az. 15 U 43/08) Manchmal würde schon ein Blick in die Verfassung genügen, um eine Frage abschließend zu beurteilen. Bettina Gaus müsste folgerichtig auch für Namensschilder bei Demos eintreten. Ein absurder Gedanke.

  • V
    vic

    Herzlos...

    Friedrich hat kein Herz, und falls doch schlägt es rechts.

  • N
    naseweiser

    Danke , Frau Gaus ! Punktgenau getroffen ! Und auch dem Friedich voll auf die Zwölf .

     

    (A propos Filter - ...den witzlosen Blödsinn von Wannabe-VIP hätte ich rausgefiltert . Nicht weil zu witzlos blöd , sondern zusätzlich auch zu lang.)

  • T
    Tomate

    @ Wannabe-VIP

     

    "Die taz-Redakteure (...) arbeiten sich z.Zt. in diversen (...) Artikelchen an vermeintlichen Heimsuchungen durch Trolle & Co ab":

     

    Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Ich bin mir mittlerweile fast sicher, dass das eine publizistische Vorbereitung seitens der taz darstellt, auf die demnächst eine bedeutende Einschränkung ihres bislang eher liberalen Umgangs mit Leserkommentaren folgen wird.

     

    "Liebe Leser, ihr müsst schon verstehen - angesichts all dessen, was sich in den Diskussionen der letzten Wochen gezeigt hat,..."

     

    Schade, sage ich schon mal vorgreifend. Schade, kurzsichtig, und dumm. Denn was mich angeht, ist das Kommentarwesen der taz (in dem zugegebenermaßen auch so manche üble Type ihr Un-Wesen treibt) das ausschlaggebende Alleinstellungsmerkmal, das mich dazu bringt, sie anderen Publikationen vorzuziehen.

     

    Denn wenn ich Einbahnstraßen-Kommunikation von oben nach unten, von irgendwelchen pseudo-progressiven journalistischen Meinungsmonopolisten zu mir, dem demütigen Leser-Rezipienten möchte, dann kann ich ja gleich die SZ oder den Spiegel lesen.

     

    Denn die taz ist mittlerweile auch nicht mehr viel ... analytischer und objektiver als die. Und was z. B. Syrien angeht: da berichtet mittlerweile sogar die FAZ fundierter und seriöser. Gerade da ist es häufig so, dass die (oder zumindest einige) Kommentare mehr Substanz haben als der kommentierte Artikel selbst.

     

    Vielleicht ja ein Ärgernis für die Schreiberlinge? Aber gerade das hat bspw. mich bislang davon abgehalten, mein taz-Lesezeichen im Browser zu löschen (wie ich es schon vor zwei Jahren beim SPON getan habe).

     

    Liebe tazler: denkt doch bitte genau darüber nach, ob Ihr wirklich diesen Weg einschlagen wollt. Vielleicht bin ich ja nicht der einzige, der so denkt? Am Ende wäre es dann wohl auch zu Eurem Schaden ...

  • W
    Wannabe-VIP

    Weiter so (!?);

    die taz-RedakteurInnen/-AutorInnen arbeiten sich z.Zt. in diversen (fast kostenfreien) Haus-Artikelchen an vermeintlichen Heimsuchungen durch Trolle & Co ab und erteilen (in reinster Selbsterkenntnis) der online-taz ('ihrer Arbeit') eine 'Existenzberechtigung' als:

    Notdurftbuden für ebenjene (!):

     

    "Vielleicht sorgt dieses Ventil ja sogar dafür, dass irgendwo ein Obdachloser nicht erstochen, irgendwo ein Ausländer nicht verprügelt wird."

     

    Und taz-Redakteurinnen dürfen sogar gänzlich un-'moderiert' derlei Blödsinn(!) originalverzapfen:

     

    "(....), man darf sogar vollständigen Blödsinn äußern, ohne dass einem Schlimmeres widerfährt, als damit zitiert zu werden. Das kann allerdings peinlich genug sein.

    Wir leben nicht in Kambodscha zur Zeit von Pol Pot, ungeachtet aller Mängel des Systems.";

     

    Sie wissen offenbar nicht mehr, was Sie da so zusammenschr-ei-/-au-ben, Frau B. Gaus ! Aber als taz-Autorin will man die eingeräumten Privilegien zum Publizieren seines (gefilterten) Brainshits ja schließlich auch nutzen, gell ?!

     

    "Qualitätsmedien .... ."?! — LOL !

  • TP
    Tim Peters
  • U
    Unzeit-gemäß

    Das ist im Grunde die klassische CDU-Argumentation: "Wenn man nichts zu verbergen hat ..."

     

    Man muss gar nicht die Möglichkeit eines autoritären Regimes in ein paar Jahren bemühen, die Gegenargumente sind viel näher als die Autorin offenbar denkt: Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist nicht verboten ... dennoch kann es Nachteile bringen, wenn der Chef davon erfährt. Homosexualität ist nicht verboten, kann aber dennoch zu Mobbing führen, wenn die falschen Leute davon erfahren. Kritik an Lehrern ist nicht verboten, kann aber zu schlechten Noten führen, wenn diese davon erfahren usw. usf.

     

    Der von der Piratenpartei hatte mit seinem Statement völlig recht. Klarnamenpflicht würde dazu führen, dass Meinungen im Internet nur noch ganz vorsichtig (und damit im Zweifelsfall weichgespült) geäußert werden. Also nur noch so wie in der Taz.

  • M
    Martin

    Mein Vorschlag :

     

    Jeder bekommt sein Namen auf Brust und Rücken. Außerdem werden alle Gespräche mitgeschnitten und müssen per Mail beim Verfassungsschutz eingereicht werden. GPS-Sender werden natürlich gleich bei der Geburt in´s Hirn gespritzt.

     

    Wenn im Internet eine eindeutige Identität von Nöten ist, ist dieses in der Realität noch viel wichtiger. Man muss sich nur mal vorstellen wie einfach ein Bankräuber ermittelt werden kann. Keine Entführungen, keine Vergewaltigungen mehr. Ja selbst bei jeder Fahrerflucht steht der Übeltäter schon im Polizeicomputer.

     

    Also meine lieben Mitbürger, habt Angst vor euern Nachbarn, er könnte ein Verrückter sein oder die CDU wählen !

     

    Nur wer etwas zu verbergen hat, muss sich vor einer totalen Überwachung ängstigen. Für alle anderen wird die Welt erst richtig sicher sein, wenn Big Brother auf sie aufpasst !

  • AN
    Arno Nühm

    Werter Herr Lehmann, dass wir uns alle frei im Internet bewegen dürfen ist eine der großen Errungenschaften schlauer Leute. Das gab es in der Geschichte der Menschheit noch niemals zu vor. Und das soll wegen ein paar Trollen und ein paar braunen Flachpfleifen geopfert werden?

    Der Glaube alle Gerichte würden rechtsstaatlich urteilen ist zudem sehr naiv.

     

    Vorratsdatenspeicherung ist ein großer Schritt in Richtung der Abschaffung der Freiheiten im Netz. Er gibt einigen Leuten unglaublich viel Macht zu entscheiden, was richtig oder falsch bzw legal oder illegal ist. Und die Macht wird ausgenutzt werden.

    Das zeigt die Geschichte (Stasi) und andere Länder machen es uns vor: Iran, Weißrussland, Nordkorea, China und auch Russland. In der Reihenfolge.

     

    Ausnutzen würde es sicher nicht die Regierung Merkel, wohl aber irgendein Moralapostel, dem 80 Mio Deutsche wie Schafe in die Unterdrückung folgen werden.

  • PP
    Paul Pot

    "Wir leben nicht in Kambodscha zur Zeit von Pol Pot, ungeachtet aller Mängel des Systems."

     

    Tolle Veranschaulichung. Warum nicht einfach:

    "Wir leben nicht in Nazideutschland zur Zeit von Hitler."? Das wäre nicht ganz so weit hergeholt, aber ich verstehe schon...

    Dann wäre auch die angebliche Abwegigkeit der Notwendigkeit der Anonymität für die Meinungsfreiheit nicht mehr ganz so leicht zu behaupten.

     

    (Extrapluspunkt: nebenbei noch die Piraten gebashed!)

     

    Glückwunsch an den Autor, den alten Troll.

  • EL
    Ernst Lehmann

    Frau Gaus, es gibt für das von Ihne beschriebene Problem eine einfach Lösung: Sie lautet Vorratsdatenspeicherung. So bleibt auf der einen Seite Anonymität bei gesetzeskonformen Beiträgen gewahrt, zum anderen ist in vielen Fällen eine Strafverfolgung bei rassistischen, beleidigenden oder anderen gesetzeswidrigen Beiträgen möglich, sauber geregelt durch richterlichen Beschluss.

    Auch Selbsthilfegruppen u.ä. wären so geschützt, würden sie doch einen besonderen juristischen Schutz geniessen.