Kolumne Macht: Von Negerlein und Mägdelein
Offenbar finden einige Eltern es unzumutbar, Kindern zu erklären, dass manche Begriffe im Lauf der Zeit ihre Bedeutung ändern.
W ie traurig. Nicht nur dass der Kinderbuchautor Otfried Preußler gestorben ist, sondern dass sein Leben am Ende überschattet war: von der Entscheidung des Verlags, aus seinen Büchern einzelne Wörter wie „Negerlein“ zu streichen, die von manchen Lesern als diskriminierend empfunden werden.
Dem Vernehmen nach hat sich Preußler dagegen lange gewehrt und am Ende nur widerwillig zugestimmt. In der neuen Ausgabe der „kleinen Hexe“ wird es jedoch keine Kinder mehr geben, die sich als dunkelhäutige Menschen verkleidet haben. Was für ein großartiger Sieg im Kampf gegen Rassismus. Oder?
Bei der ganzen Diskussion ging es weder um die Haltung des Autors noch um den Kontext des Werkes. Sondern nur um Wörter. Offenbar finden einige Eltern es unzumutbar, Kindern zu erklären, dass manche Begriffe im Lauf der Zeit ihre Bedeutung ändern. Ja, dass sich sogar die Zeiten gelegentlich ändern. Und der Verlag möchte lieber unangreifbar sein, als mit einem Vorwort derartige Erklärungen zu erleichtern.
Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Ihre Kolumne „Macht“ erscheint alle 14 Tage in der sonntaz. Das Wochenendmagazin ist am Kiosk, e-Kiosk und im Wochenendabo erhältlich.
Weil Kinder so etwas nicht mögen? Das hätte man Erich Kästner sagen sollen. Der hat die Erläuterungen zu seinen Kinderbüchern sogar selber geschrieben.
Erst die Erben gaben nach
Astrid Lindgren ist es zu Lebzeiten gelungen, Säuberungen ihrer Bücher zu verhindern. Erst ihre Erben gaben nach. Inzwischen ist der Vater von Pippi Langstrumpf kein „Negerkönig“ mehr, sondern herrscht über eine Insel in der Südsee. Als ob das die Sache besser machte.
Pippis Erlebnisse im Taka-Tuka-Land spiegeln nämlich tatsächlich – im Unterschied zu Preußlers „Negerlein“ – eine problematische Haltung wider: dass „Weiße“, wenn sie irgendwohin fahren, dort stets regieren. Das lässt sich nicht mit dem Austausch einzelner Wörter korrigieren.
Aber soll man deshalb ein viel geliebtes Kinderbuch auf den Index setzen? Nein. Soll man nicht. Man soll ein bisschen mehr Vertrauen in Eltern setzen, in eine Umgebung – und vor allem in Kinder. Von denen die meisten den Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Herrschaft gar nicht automatisch herstellen.
Mit feuchten Augen
Auch Astrid Lindgren war keine Rassistin. Sie war geprägt von ihrer Zeit. So, wie alle Leute das sind. So, wie Tania Blixen das war, als sie in ihren Erinnerungen an Kenia das Volk der Kikuyu mit Tieren verglich. Ein wunderbares Buch ist ihr gelungen, aber es ist nach heutigem Verständnis rassistisch. Der Text ist die Grundlage für den Film „Jenseits von Afrika“, bei dem viele Leute feuchte Augen bekommen. Das Buch ist bis heute unverändert.
Ein unzulässiger Vergleich? Tania Blixen hat für Erwachsene geschrieben, Otfried Preußler für Kinder. Na und? Auch Kinderbücher sind Literatur. Jede andere Einschätzung ist respektlos – Kindern gegenüber und gegenüber den Texten, die ihnen etwas bedeuten.
Wenn man damit anfängt, Bücher auf den jeweils korrekten Zeitgeist hin zu aktualisieren, dann gibt es kein Halten mehr. Josephine Siebe, geboren 1870, war eine der ersten Autorinnen, deren Kinderbücher nicht belehrend, sondern vor allem unterhaltend sein sollten. Bis heute gibt es Neuauflagen.
Finger weg!
Schaut niemand hin? Vor allem im Hinblick auf das Rollenverhalten von Frauen und Männern müsste da einiges korrigiert werden. Was dem Negerlein recht ist, sollte dem Mägdelein billig sein.
Oder nicht? Nein, lieber nicht. Lasst die Finger von Texten, solange sie verständlich sind. Und lasst uns um Otfried Preußler trauern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften