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Kolumne LidokinoSchwarzbilder und Schwanensee

Cristina Nord
Kolumne
von Cristina Nord

Sergei Loznitsa montiert Archivmaterial aus der Zeit des Putsches gegen Gorbatschow neu. Es geht ihm um Wirrnis, nicht um Heroismus.

Sergei Loznitsa bei den Filmfestspielen von Venedig. Foto: dpa

W ährend sich der Wettbewerb zäh gestaltet, überzeugen Dokumentarfilme, die außer Konkurrenz präsentiert werden. Der ukrainische, in Berlin lebende Filmemacher Sergei Loznitsa, dessen Dokumentarfilm „Maidan“ gerade in deutschen Kinos läuft, reist mit „Sobytie“ (“The Event“) an den Lido. Die in früheren Arbeiten wie „Blokada“ (2006) erprobte Methode, Archivmaterial neu zu montieren und mit einer elaborierten Tonspur zu kombinieren, führt er hier fort.

In „Blokada“ waren es Bilder aus der Zeit der deutschen Belagerung Leningrads, diesmal sind es Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die im August 1991 auf den Straßen und Plätzen der selben Stadt entstanden, in den Tagen, als kommunistische Funktionäre gegen den Staatspräsidenten Gorbatschow putschten und in vielen Orten der Sowjetunion den Ausnahmezustand verhängten.

Loznitsa unterlegt die Schwarz-Weiß-Bilder mit Radioübertragungen und Ansprachen von Politikern und Protestierenden. Manchmal laufen die Texte frei, lösen sie sich von dem, was man sieht, und man weiß dann nicht genau, wer spricht und in welchem Kontext er es tut. Schwarzbilder dienen als Zäsur, und immer wieder erklingen Ausschnitte aus Tschaikowskys „Schwanensee“. Das geschieht nicht aus einer Laune heraus, sondern weil die Sender, die unter Kontrolle der Putschisten standen, Aufzeichnungen von Inszenierungen des Bolschoi-Balletts ausstrahlten.

Die Leningrader versammeln sich auf dem Platz vor der Eremitage oder vor dem Rathaus, mal sind sie von einem höheren Standpunkt aus gefilmt, mal streift die Kamera durch die Menge, nimmt Gesichter wahr, die Angst und die Ratlosigkeit darin, die Müdigkeit, aber auch den Zorn.

Unheimlicher Vorbote neuer Repression

Es ist eine Situation, die sich, wenn überhaupt, erst aus der Rückschau heraus begreifen und interpretieren lässt. Im Augenblick ihres Geschehens ist sie unübersichtlich und wirr. Wer warum und in welchem Interesse agiert, lässt sich nicht durchschauen – was den Tatendrang der Menge nicht bremst. Spontan bilden sich Kollektive, und Barrikaden werden errichtet.

Genau um diese Wirrnis geht es Loznitsa, nicht um Heroismus. Am Ende des ersten Leningrad-Films, „Blokada“, stehen keine Bilder des Triumph aus der endlich nicht mehr eingekesselten Stadt, sondern Aufnahmen von der Hinrichtung derjenigen, die als Kollaborateure identifiziert wurden. Gegen Ende von „Sobytie“ holen Männer auf dem Dach des Rathauses die sowjetische Flagge ein und hissen an deren Stelle die russische Trikolore. Der Platz vor dem Gebäude ist nun fast leer, die Menschen sind nach Hause gegangen.

Kurz zuvor hielt der Bürgermeister Anatoli Sobtschak eine flammende Ansprache, in der er den Staatsstreich verdammt. Für einen Augenblick sieht man auf dem Rednerpodium auch Wladimir Putin, der seinerzeit Mitarbeiter Sobtschaks war. Von heute aus fällt es schwer, in ihm nicht den unheimlichen Vorboten neuer Repression zu erkennen.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin
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