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Kolumne LaufenDer körperliche Verfall

Kommentar von Dieter Baumann

Der jährliche Weihnachtslauf wird immer ernüchternder. Denn ab einem gewissen Alter wird man einfach langsamer.

Bild: privat

Dieter Baumann, 42, ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.

Der Weihnachtsstress ist vorbei, die Weihnachtsgans gegessen und die vielen Kekse vertilgt. Kurzum, die Schlacht ist geschlagen. Bleibt noch die Frage zu beantworten, was die Deutschen an Geschenken ausgegeben haben? Wie viele Millionen an Euros auf den Kopf gehauen?

Noch bevor ich mir über dieses Thema richtig den Kopf zerbrechen konnte, kam, wie bei so vielen, der Heiligabend dazwischen. Auch bei mir ist der Heiligabend ein ganz traditioneller Tag. Denn schon seit 25 Jahren laufe ich an diesem Tag mindestens 20 Kilometer. Ich weiß, eine Marotte, aber eine schöne. Dieses Jahr sollte es aber anderes sein. Nach 25 Jahren wollte ich mit dieser Tradition brechen und nur lockere 50 Minuten traben. Dann aber rollte es gut, sehr gut sogar. Zumindest was man in meinem Alter noch rollen nennen kann. Und schon wandelte ich wieder auf traditionellen Pfaden. Also doch 20 km, entschied ich spontan im Wald.

Nun darf ich auf keinen Fall mein heutiges Laufen mit Zeiten wie vor zehn Jahren vergleichen. Das wäre eine traurige Weihnachtsgeschichte. Doch Laufen ist alles andere als traurig. Auch dann, wenn ich die Tatsachen realisierte. Die Uhr lief auch bei diesem Lauf mit, unbarmherzig.

So brauchte ich an diesem Heiligabend 2007 für die ersten fünf Kilometer ganze fünf Minuten länger als 1997. Mit der ersten Hochrechnung im Kopf, was das für die Endzeit über 20 km bedeutet, fiel mir Winfried ein. Kolumnen-Leser kennen Winfried. Er ist der Kletterfreund von taz-Reporterin Barbara Dribbusch. Nur weil er sich einbildet, ungelenker zu sein als früher, kommt er nicht mehr zur gemeinsamen Seilschaft. Beim Klettern ist das für den Partner fatal.

Als Laufcoach der taz bleibt mir nur der Rat an meine Kollegin, mit der Lauferei zu beginnen. Da ist frau völlig unabhängig. Aber der Winfried, der machte mir Sorgen. Schon nach der ersten Zwischenzeit musste ich an ihn denken. Lieber Winfried, Mensch, jetzt stell dich nicht so an. Was soll ich mit dieser Gurkenzeit hier sagen, begann ich ein Gespräch mit ihm, während ich auf die Zehn-Kilometer-Marke zulief und acht Minuten langsamer war wie noch als junger Hüpfer. Ab einem gewissen Alter werden wir langsamer. Unaufhaltsam. Die schlechten Botschaften zuerst, dachte ich mir, als ich mir eine Ansprache der Motivation für Winfried überlegte. Nach der Ernüchterung begeistern: Aber die Art der Bewegung, lieber Winfried, und das tolle Gefühl danach bleiben immer gleich. Egal wie langsam und ungelenk wir uns selbst sehen. Mit diesen Gedanken hatte ich den Plan meiner Kolumne über den Konsumwahn ganz vergessen.

Hier die Fakten: Deutsche kauften im Schnitt für mehr als 300 Euro Weihnachtsgeschenke ein. Im Vergleich: fast so viel, wie ein Hartz-IV-Empfänger im Monat erhält. Ihm und seiner Familie bleiben knapp 3,50 Euro am Tag. Weihnachten fiel aus. Ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Fairness zahlt sich aus“ versuchte eine Erklärung, indem ein Versuch der Verhaltensforschung beschrieben wurde. Ein Spieler erhält 100 Euro und muss einem Mitspieler etwas davon abgeben. Wie viel er abgibt, entscheidet er selbst. Allerdings dürfen beide Spieler das Geld nur dann behalten, wenn der Nehmer der Verteilung zustimmt. Freudig stellt der Verfasser des Kommentars fest, dass etwa die Hälfte der Probanden dem Nehmer 50 Euro anbieten und demnach fair eingestellt sind. Unerwähnt lässt er den Versuch, bei dem eine externe Institution den Verteilungsschlüssel festlegt. Dann akzeptieren die Nehmer auch viel niedrigere Verteilungsschlüssel, die sie im freien Handel so nicht akzeptiert hätten. So viel zum Stichwort Harz IV. Diese Verhältnisse dürfen wir nicht länger akzeptieren.

Akzeptieren müssen wir den Verfall unserer körperlichen Leistungsfähigkeit. Da gibt es keinen Schlüssel. Wie im richtigen Leben gibt es aber andere Pfade. Warum klettert ihr überhaupt in einer Halle, lieber Winfried? Vergesst die künstlichen Routen, fahrt in die Sächsische Schweiz, schwingt euch einen Felsen hoch und genießt am Abend ein schönes Essen.

Fragen zum Klettern? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried propagiert ÖKOSEX

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