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Kolumne LaufenAuf dem Rücken der Sportler

Kolumne
von Dieter Baumann

Die Taz boykottiert die Leichtathletik-WM. Aber wem bringt das was?

Bei meiner ersten Reise vor vielen Jahren nach Afrika war ich überwältigt von der Landschaft und den Menschen, doch ich war auch sehr ängstlich. Überall sah ich Gefahren. Wilde Tiere, giftige Pflanzen und unheilbare Krankheiten übertragende Mücken. Zufällig traf ich im selben Hotel in Eldoret den Zehnkämpfer Guido Kratschmer. Nie bin ich ihm als Athlet begegnet, er beendete seine Karriere, als meine begann, doch er sah immer noch so aus, als würde er im Zehnkampf mehr als 8.000 Punkte machen.

Er war groß und athletisch. Zu meiner Verwunderung marschierte er durch das Land und aß wilde Früchte von Bäumen, beobachtete kleine Insekten auf seiner Hand und trank das Wasser aus der Hotelleitung. "Das schmeckt besser als in Frankfurt", sagte er.

Bild: taz

Dieter Baumann (42) ist mehrfacher Olympiasieger in verschiedenen Laufdisziplinen, arbeitet als Motivationstrainer und Autor. Er träumt davon, ein "Lebensläufer" zu sein, für den der Weg immer wichtiger bleibt als das Ziel.

Guido Kratschmer ist Biologe. Im Gegensatz zu seinem imposanten Äußeren spricht er leise und mit Bedacht. Wenn er mir die Tier- und Pflanzenwelt Afrikas erklärte, dann klang das fast zärtlich. Es machte Spaß, ihm zuzuhören. Mit einem Male hatte ich das Gefühl, die Gefahren besser einschätzen zu können. Selbst im El-Niño-Jahr mit sintflutartigen Regenfällen lief ich durch hüfthohe Wasserbäche, fiel dabei in Löcher und versank bis zum Hals in Schlammmassen. Die auf der Wasseroberfläche schwimmende Malariafliege schaute mir direkt ins Auge. Angst? Überhaupt nicht. Afrika war für mich über viele Jahre zum Magnet geworden.

Interessant ist auch die sportliche Geschichte von Guido Kratschmer. Für das Olympiajahr 1980 war alles gerichtet. Er war bereit, Weltrekordler im Zehnkampf. Wer sollte ihn schlagen? Dann kam der Boykott der Spiele und der Traum war aus. Kratschmer erzählte mir darüber fast genauso zärtlich, als würde er mir die Blüte einer schönen Pflanze erklären. Vier Jahre später kam der Gegenboykott. Auf Geheiß von Moskau blieb die Weitspringerin Heike Drechsler zu Hause. Es hätten ihre Spiele werden können.

Auf dem Rücken der Athleten wurden, wie man damals glaubte, hehre Ziele verfolgt, doch hat man mit dem Fernbleiben die Welt verändert? Auch die öffentlichen Fernsehanstalten boykottierten. Sie sendeten nichts mehr von der Tour de France 2007. Grund war damals der Dopingsumpf. Und? Erstens sprang Sat.1 sofort ein, und sonst? Ist es sehr viel anders geworden? Auch unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel boykottierte einmal. Ihre Sprecher nannten das natürlich nicht so, doch der Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen von Peking blieb sie fern. Hat es die Politik Chinas beeinflusst?

Jetzt also sagt die taz ihre Teilnahme an der Leichtathletik-WM ab. Am restriktiven Verhalten der allmächtigen Sportorganisatoren wird dies nichts ändern. Zumal dies fast immer im Doppelpass mit der Politik geschieht. Boykotte bringen nur dann etwas, wenn alle mitmachen. Ansonsten bleibt fast nur der Weg, hinzugehen und den Leuten auf die Finger zu schauen.

Schade ist das Fernbleiben der Redakteure vor allem für die Athleten. Welches taktische Geschick legen junge Athleten im Vorlauf an den Tag. Lassen sie sich von Stars oder der Kulisse beeinflussen? Ist eine Überraschung möglich? Ein Carsten Schlangen oder Robin Schembera gehen im Mainstream der Medien unter. Für die taz wären sie Geschichten.

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Nun ja, so ist das wohl immer, mit der Ohnmacht der vermeintlich Mächtigen. Die taz kann zwar die eine oder andere vorübergehende diplomatische Verwicklung auslösen, in dem sie zum Beispiel einen gewissen, ziemlich exponierten, annähernd kugelförmigen Polen als Kartoffel bezeichnet. Das System stürzen kann sie aber nicht.

     

    Genau genommen ist sie nicht einmal dazu in der Lage, so viele Genossenschafter zu rekrutieren, dass sie mit ihrer Geschäftsidee zu einer echten Konkurrenz werden würde. Das einzige, was sie kann, ist: nicht mitmachen, wenn alle mitmachen – und drüber schreiben. Ich finde, das ist eine ganze Menge. Und wenn gewisse hoffnungsvolle junge Sportler sich vom System, das sie täglich missbraucht, nicht viel zu viel versprechen würden, würden sie auch zu Hause bleiben. (Mit der taz könnten sie ja trotzdem reden, aber das wäre natürlich nicht das selbe, so ganz ohne Beweis.) Sie könnten dann ganz gut als Biologen glücklich werden oder als Schuhverkäufer. Und von mir aus sogar als Journalisten. Aber das, nicht wahr, ist schlicht unmöglich. Schließlich hat in dieser Gesellschaft nur der Sieger einen Wert. Und zwar vor allem dann, wenn er nach völlig besch...euerten Regeln gewinnt, die andere für ihn gemacht haben. Dann nämlich ist er nicht nur mutig, sondern auch tapfer. Wer nicht siegt, geht hingegen gnadenlos unter. Im Mainstream, versteht sich. Der nämlich ist ewig und gottgegeben. Ein unbegreifliches Naturphänomen, sogar für die taz.

     

    Übrigens: Die DDR, die gern als Unrechtsstaat bezeichnet wird, hat aufgehört zu existieren, als ihr die Bürger davongelaufen sind. Dass diesen Wettlauf seinerzeit jemand gewonnen hätte, ist nicht überliefert. Soweit ich weiß, hat auch weder der erste noch der letzte Davon-Läufer je von irgendwem eine Medaille bekommen. Und wenn die taz weder den einen noch den anderen bisher interviewt hat, kann das durchaus daran liegen, dass der Lauf der Geschichte schon ziemlich früh begann. Wer hätte damals wissen sollen, wie das alles eines schönen Tages mal enden würde. Ich meine: damals, als alles noch für die Ewigkeit gemacht zu sein schien...