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Kolumne LandmännerRaumpioniere auf dem Treck gen Ost

Im Wilden Osten treffen zugereiste Cowboys auf maulfaule Indianer. Wer sind denn nun die Guten?

Bild: taz

Martin Reichert, 34, ist der Liebe wegen Wochenend-Brandenburger. In Berlin wünscht er sich fast täglich an einen stillen See, in Brandenburg sieht er abends am Horizont die Lichter Berlins schimmern - und bekommt Sehnsucht.

Dank Deutschlandradio haben wir endlich den Sinn unseres Brandenburger Daseins erfahren: Wir sind Raumpioniere. Laut Radio-Beitrag hat der Brandenburger Forscher Ulf Matthiesen in seiner Denkerstube eine Art Gegenmittel entwickelt, nämlich gegen die Abwanderung, von der ganz Ostdeutschland und besonders Brandenburg heimgesucht wird. Es gehen die Klugen, Jungen - und/oder bzw. sowohl als auch - Frauen. Es bleibt die DDR, also DER DUMME REST. Da wir jedoch nicht geblieben sondern gekommen sind, gehören wir zu den Raumpionieren. Siedler, die wie damals im amerikanischen Wilden Westen die leeren Landschaften besiedeln. Mit "neuen Ideen, guter Ausbildung und dem Enthusiasmus der Neuankömmlinge".

Da haben wir ja gerade noch mal Glück gehabt. Wir sind die Cowboys vom Brokeback Mountain und die Rest-Ossis sind die Indianer. Mit dem Feuerross namens Regionalexpress penetrieren wir jedes Wochenende die endlosen, kargen Sandsteppen, stets den "myth of the frontier" vor Augen, wenn nicht gerade eine Wanderdüne das Gleis blockiert. Oder durchgeknallte Berliner, die sich bei schönem Wetter schon mal raustrauen aus der Großstadt und jeden Zentimeter Grün platt trampeln: Familien suchen Steinpilze, jüngere Herrschaften eher Magic Mushrooms. Beide enden zumeist in der Dorfschänke und bestellen Schnitzel mit Champignons aus der Dose. Amateure, die sich ungefähr so ungelenk anstellen wie Taschendiebe aus dem Londoner East-End des 19. Jahrhunderts, die sich auf dem Weg nach Kalifornien mit dem Planwagen verfahren haben.

Wir sind da schon viel weiter. Unsere Einrichtung zum Beispiel haben wir schon von Landhaus- auf Kolonial-Stil umgerüstet. Laura Ashley wird sowieso überbewertet, und so eine Holzfigur mit schwarzem Butler, der ein Tablett hält, ist sehr praktisch, um die Teetasse abzustellen. Letztendlich ist unser Leben in dieser Lesart nur die Fortführung des interessanterweise gerade in linken Kreisen so beliebten Gesellschaftsspiels "Die Siedler von Katar", bei dem es darum geht, aus einem Naturreservat möglichst viele Rohstoffe und Anbauerträge herauszupressen, um anschließend alles mit Immobilien zuzupflastern. Na ja, in den 80er-Jahren hantierte man auf dem Brett noch mit Atombomben - "Risiko" -, heute geht es wenigstens nur noch ums Häuslebauen.

Dennoch will die Geschichte nicht vergehen. Schon der Alte Fritz, Friedrich der Große mit seiner Kartoffelnase, dessen persönliches Brokeback Mountain mit Freund Katte von seines Vaters strenger, mörderischer Hand verhindert wurde, musste sein ärmliches Ländchen "peublieren", weil niemand in ihm wohnen wollte. Und eroberte sich blödsinnigerweise noch gleich ein europäisches Großreich dazu, anstatt erst mal genügend Statisten für sein heimisches Reich zu casten. Das ist zwar lange her, aber wie man ja sieht, will immer noch niemand in Brandenburg wohnen. Oder schon wieder nicht. Stattdessen stehen sie sich in Berlin, dem riesigen Raumschiff inmitten der märkischen Streusandbüchse, alle auf den Füßen herum, kläffen sich an und bekommen Neurodermitis. Wenn zum Beispiel Westberliner mal aufs Land wollen, fahren sie in den Harz oder gleich nach Schweden.

Dabei winkte doch gar nicht weit entfernt Brandenburger Gastlichkeit mit dem Slogan "Kommse rin, könnense rauskiecken". Herrliche Seenlandschaften, Spargel, ornithologische Kostbarkeiten vom Kranich bis zum Storch, malerischer Preußenplunder und - wenn man sich nicht doof anstellt - tonnenweise Pilze. Die potenziellen Siedler haben jedoch eine Heidenangst vor den "Indianern", den "Fremden" und "Anderen", die man im Grunde alle für rechtsradikal hält. So ist das mit Stereotypen, ein Körnchen Wahrheit steckt meistens in ihnen - selbstverständlich gibt es in Brandenburg Neonazis -, aber die Mehrheit der Steppenbewohner zeichnet sich durch zurückhaltende, fast scheue Maulfaulheit aus. Ihr Vertrauen zu gewinnen, ist gar nicht so leicht. Also, ihr urbanen Cowboys: nur Mut.

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