Kolumne Landmänner: Krieg, so kalt wie die Küche
Kein Heizvorgang ohne Erwägung von Nato-Interessen. Doch mein Freund vermisst die Russen.
Martin Reichert ist Redakteur des taz-mag.
Wenn man in diesen Tagen friert, weil es ein Problem mit der Heizung gibt, ist man gedanklich recht schnell bei geostrategischen Überlegungen angelangt. So wie neulich an einem doch recht kühlen, verregneten, nur angeblich sommerlichen Abend auf dem Lande.
Gut nur, dass wir dank Holzvergaser-Heizung auf die Russen nur in Fragen des Kochens angewiesen sind - kann man für den Gasherd eigentlich auch auf Biogas aus heimischen Anbau umsteigen?
Mein Freund hat jedenfalls keine Angst vor den Russen, auch wenn der Botschafter in der ZDF-Live-Schalte noch so streng dreinblickt. Im Gegenteil hat er als gelernter DDR-Bürger und Mitglied des Warschauer Paktes nur die besten Erinnerungen an die ehemaligen (Zwangs-)Gesandten des sozialistischen großen Bruders. Als Jugendlicher hatte er die Soldaten immer im Wald besucht, wenn sie dort am abendlichen Feuer Kartoffeln geröstet und Wodka getrunken haben. Er war in diesen Runden mit ihren traurigen Liedern immer willkommen und hat auch stets eine Kartoffel abbekommen.
"So so, Kartoffeln und traurige Lieder, mein Lieber, wenn es dabei mal geblieben ist…!", sagte ich mahnend und baute mich zu voller Nato-Größe vor ihm auf: "Und was war mit den MIGs, die hier ständig ohrenzerfetzend über die Heide gebrettert sind, mit den Panzern, die eure sowieso maroden Straßen ruiniert haben? Du tust ja so, als sei hier eine Art riesiger Don-Kosaken-Chor zu Besuch gewesen." Was ihn trotz meines zwar atomar gemeinten, aber wohl doch eher konventionell rüberkommenden Abschreckungspotenzials nicht sonderlich zu schrecken schien: "Na, du bist doch nur eifersüchtig!" Da konnte ich ja nur lachen, stand doch im Bundesländchen meiner Herkunft, Rheinland-Pfalz, hinter jedem Baum ein Soldat der brüderlich verbündeten Streitkräfte: Franzosen, die an den Wochenenden mit Adidas-Trainingsanzügen durch das kleinstädtische Nachtleben liefen, und Amerikaner, deren größte Freude darin bestand, einmal im Jahr beim Weinfest Karussell zu fahren. Es gab in meiner Heimat eine "Black Forrest Clock Factory" und am Wochenende in der Bauern-Disse kam regelmäßig die Military-Police mit Fahrzeugen, die aussahen wie bei "Starsky & Hutch". Zugegeben: Im Wald gegrillt wurde eher nicht.
Wir kamen ins Erzählen: Dort, wo einst die Russen waren, kann man jetzt Pilze pflücken, alle weg. Aber als ich vor zwei Wochen meine Eltern besuchte - zum Weinfest versammelte sich die in alle Herrgottswinkel verstreute Familie -, waren die Amis noch immer da. Doch erst jetzt bemerkte ich, wie verdammt knalljung all diese Männer, und heute auch verstärkt Frauen, sind, die mir damals so erwachsen vorkamen. Eigentlich noch Kinder - und zum Teil mit Narben an den Unterarmen, die bestimmt nicht daher rühren, dass sie von der Schaukel gefallen sind. Sie standen in großen Trauben beim Auto-Scooter und verschlangen Zuckerwatte, als ob sie morgen schulfrei hätten und nicht demnächst wieder von alten Leuten an die Front geschickt würden.
Die Jets fliegen dort immer noch, aber lange nicht mehr so tief wie seinerzeit. Die Sirenen heulen am Samstag nicht mehr zum Probealarm, aber in der nahen US-Air-Base Büschel lagern sogar noch Atombomben.
Wir gingen trotz des kühlen Wetters noch ein wenig spazieren, zum "Russenhafen" am See, dort war früher ein Treibstofflager der Roten Armee. Die Abendsonne brach dann doch durch, aber wir waren ganz allein, weil alle anderen Menschen Brandenburgs zu Hause geblieben waren. Konnten wir uns also unbesorgt in den Arm nehmen: "Mensch, wenn ich dich früher schon gekannt hätte, dann hätte ich dir immer Westpakete geschickt", sagte ich zu meinem Freund. "Ja, darüber hätte ich mich gefreut - aber vielleicht würden wir uns dann heute auch nicht mehr kennen", antwortete er.
Der Kalte Krieg ist vorbei. Und wir beschlossen, diesen Abend unter ein Motto zu stellen, das in dieser Zeit entstanden ist und immer noch aktuell ist: "Make love, not war".
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