piwik no script img

Kolumne LandmännerMein Mann des Jahres

Martin Reichert
Kolumne
von Martin Reichert

Wenn es ihn nicht gäbe, dann müsste man ihn erfinden: den Freund mit dem roten Schal.

M ein Lebensgefährte ist Denkmal des Monats. Deshalb wurde die Straße gesperrt und der Bürgermeister der Ackerbürgerstadt hat mit dem städtischen Gabelstapler einen Glühweinstand bringen lassen und der Kindergarten-Chor hat gesungen und das Blechbläser-Ensemble war auch da. Und der Weihnachtsmann. Und das Fernsehen.

Bild: taz

Martin Reichert ist Redakteur des taz-mag.

Also, nein, so alt ist er nun auch wieder nicht, mein Lebensgefährte. Ich muss das erklären. Aber das alles hat auch wirklich genau so stattgefunden, weil das Fernsehen ja auch da war, und die haben alles gefilmt und das ist der Beweis.

Das Denkmal, das sind eigentlich die alten Ackerbürgerhäuser, die mein Freund in liebevoller Handarbeit und über Jahre renoviert und vor dem sicheren Verfall bewahrt hat. Es sind die allerältesten Häuser der Ackerbürgerstadt. Sie sehen ein bisschen aus wie in einem surrealistischen Film, alles ist krumm und nett angeschrägt - weshalb, glaube ich, viele Ackerbürger denken, dass mein Freund einen am Sträußchen hat.

Dass es einen städtischen Gabelstapler gibt, haben wir gar nicht gewusst. Aber das Schöne an so einem Feiertag ist, dass endlich mal die Kulissen stimmen. Das ist so ähnlich wie mit Weihnachten. Es war eine gute Gelegenheit, endlich mal den ganzen Müll und Schrott und Bauschutt wegzuräumen. Und die Spinnweben hinter der Treppe zu entfernen, mein lieber Mann. Die Katzen mal durchzulüften und die leeren Flaschen wegzubringen. Zur Feier des Tages standen auch die beiden Transporter der Nachbarn ausnahmsweise mal nicht genau vor dem Wohnzimmerfenster. Wegen des städtischen Ausnahme-Parkverbotsschildes.

Allerdings hat sich das Denkmal des Monats komplett geweigert, meine Medienberatung in Anspruch zu nehmen. "Ich bitte dich inständig, nimm doch diesen roten Schal ab, wenn du interviewt wirst."

Aber als dann die Ackerbürger da waren und der Kindergarten-Chor und die Blechbläser und das Fernsehen, was musste ich da sehen? Was musste ich da sehen? Der rote Schal leuchtete inmitten des Dezember-Graus, als ob Gregor Gysi, Walter Momper und Franz Müntefering eine Personalunion eingegangen wären. Roter gar als das Gewand des Lebkuchen verteilenden Weihnachtsmannes.

Der Gabelstapler hatte auch noch ein Stehpult mit eingebauten Mikrofonen gebracht, das dann allerdings mangels Verstärkeranlage und Stromversorgung nicht so richtig zur Geltung kam bei der Ansprache des brandenburgischen Denkmalschutzamtes. Und als das Denkmal selbst sprechen sollte, machte er nicht viele Worte, sondern sagte bloß, dass man ja wohl heute Abend alles im Fernsehen sehen könnte und er deshalb nicht viele Worte machen müsse.

Anschließend durften alle mal hinter die Kulissen gucken und die Häuser von innen anschauen. Für Verwirrung sorgte allerdings der Kinderstuhl in unserer Küche. Ob ich das hätte erklären müssen? Dass die dazugehörige Frau nicht etwa unsere Leihmutter ist, sondern eine mit uns befreundete Untermieterin und das dazugehörige Kind gerade mit seinem Vater in Ägypten … Zu kompliziert.

Abends dann, als die Blechbläser und das Denkmalamt wieder weg waren und der Gabelstapler den Glühweinstand zurück in seine Garage gefahren hatte und die Ackerbürgerstadt zurück in ihren Vorweihnachtsschlummer gefallen war, sahen wir uns dann unser Zuhause im Fernsehen an. Den roten Schal hatte mein Denkmal des Monats immer noch an, weil er starke Halsschmerzen vom vielen Reden hatte, was sonst ja nicht so sein Ding ist.

Es ist also alles wahr, wir haben es im Fernsehen gesehen. Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich diese Ruinen zum ersten Mal gesehen habe. Mir ist einfach nur schwarz vor Augen geworden. Ich hatte die Fantasie einfach nicht. Mein Freund schon. Man muss ihn einfach lieben, inklusive roten Schals. Ein denkwürdiger Mensch, und das nicht nur für einen Monat. Ganz in echt, keine Kulisse. Ich habe das schon immer gewusst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!