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Kolumne LandmännerVerliebt, verlobt und ein bisschen verheiratet

Martin Reichert
Kolumne
von Martin Reichert

Wir haben das Abendland, den Orient, die menschliche Zivilisation ins Wanken gebracht: mein Mann und ich sind zum Standesamt.

H eiraten macht gleich viel mehr Spaß, wenn die Standesbeamtin aussieht wie Evelyn Hamann, das Trauzimmer früher mal eine Krankenhauskapelle war und die Trauzeugen als Erstes nachfragen, ob man die "Location" denn auch für "Shootings" mieten könne - und die Standesbeamtin dann tatsächlich antwortet, dass an diesem Ort schon mal eine Folge der RTL-Serie "GZSZ" gedreht wurde.

Aber mal toternst: Wir haben es getan! Mein Freund ist jetzt mein Mann und wir sind zwar nicht verheiratet, dafür aber eingetragen lebensverpartnert, amtlich beglaubigt vom Standesamt Neukölln. Und das geht? Diese Frage hatte mir mein Bruder im Vorfeld gestellt. Und ja, es geht. Nur wie genau, das wussten wir ja vorher auch nicht.

Der Staatsakt, vorbereitet dereinst von der rot-grünen Bundesregierung, nahm seinen Anfang an einem spätsommerlichen Abend auf dem Lande vor zwei Jahren. Eben noch hatten wir uns über die Gasrechnung unterhalten und im nächsten Moment sagte mein nunmehr Angetrauter: "Eigentlich könnten wir doch auch heiraten." Der Satz stand dann erst mal etwas sperrig im Raum wie ein monströses Diskursmöbel, auf dem der Papst, Norbert Geis und Volker Beck herumturnen.

Bild: taz

Martin Reichert ist Redakteur der sonntaz.

Dann war erst mal keine Zeit. Zwei Jahre lang! Erst als wir gemeinsam Urlaub hatten, konnte es losgehen mit der Dokumentenbeschaffung, deren Höhepunkt eine Fahrt mit der Fähre zum Bürgeramt Caputh bei Potsdam war, in dessen Archiv sich der Beweis für die Existenz meines Mannes befindet. Das Zertifikat meiner selbst konnte ich hingegen problemlos per E-Mail in Westdeutschland anfordern.

Zur Anmeldung im Standesamt Neukölln erschienen wir kurz vor knapp und lasen im Warteraum die behördliche Brautbroschüre, die dank rot-roter Landesregierung sogar ein Unterkapitel "Eingetragene Lebenspartnerschaft" enthält, in dem die reichhaltigen Pflichten und die im Vergleich zur "richtigen Ehe" wenigen Rechte noch einmal aufgelistet sind - dem Finanzamt und der Rentenversicherung ist unser neuer Familienstand egal, aber wenn es um Versorgungspflichten geht, sind wir voll gleichberechtigt, immerhin.

Als wir dann im Amtszimmer den Antrag unterschrieben, wurde mir bewusst, dass wir mit diesem Schritt im Begriff waren, das Abendland, die westliche Welt, den Orient, die menschliche Zivilisation an sich, den Vatikan und Wolfgang Bosbach von der CDU ins Wanken zu bringen. Eine "Homo-Ehe"! Zwischen dem Wohl der Menschheit und Armageddon liegt nur ein hauchdünnes Blatt Papier vom Finanzamt Neukölln: Wenn wir wie verheiratete Heterosexuelle Steuervorteile hätten, würde die bürgerliche Ehe und die Familie als Keimzelle des Staates in sich zusammensacken wie ein Souflée. Man muss als Homo schon aufpassen, was man macht, eine falsche Bewegung und schon bricht die fragile Mehrheitsgesellschaft zusammen.

Als es dann so weit war, machte Evelyn Hamann jedoch einen sehr entspannten Eindruck, hantierte mit ihren Stempeln, die Fernbedienung für die Technics-Stereoanlage stets in Griffweite ("Hamse Ringe? Wollnse Musik?"). Die Trauzeugen digitalisierten das Geschehen und walteten ihres Amtes per Unterschrift - mein Freund und ich hatten nichts weiter zu tun, als "Ja" zu sagen. Fertig.

Am Abend, kurz bevor die Trauzeugen zum rustikalen Essen in unserem brandenburgischen Dorf erschienen, rief ich meinen Bruder an, um ihm mitzuteilen, dass es wirklich geht. Wir tranken zusammen ein Glas Moselwein, den meine Eltern uns geschenkt hatten. Nun ist es also amtlich: Wir halten zusammen, in GZSZ.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

7 Kommentare

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  • MR
    Martin Reichert

    Wenn eine solche "Hochzeit" nicht noch immer ein Politikum wäre, hätte ich darüber sicher nicht berichtet.

     

    Die Eingetragene Lebenspartnerschaft, die als Rechtsstatut noch nicht allzu lange besteht, gilt bei Schwulen und Lesben als unattraktiv: Zum einen, weil sie den Verpartnerten mehr Pflichten als Rechte auferlegt, zum anderen, weil sie in traditionellen und neo-orthodoxen Kreisen der Szene als konventionell / bürgerlich / spießig gilt - wobei letztere Haltung problematisch ist: Wie kann ich ein Recht prinzipiell ablehnen oder ausschlagen, das ich gar nicht habe? Muss nicht erst Rechtsgleichheit bestehen, damit ich eine Entscheidung treffen kann, ablehnen oder zustimmen kann? Am Ende, so zeigt es die Geschichte, ist für Minderheiten immer die Rechtsgleichheit ausschlaggebend, denn sie gilt auch unabhängig von gesellschaftlichen Stimmungen oder Zeitgeist-Moden.

     

    In diesem Zusammenhang finde ich interessant, dass die Benachteiligung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber der "richtigen Ehe" weiten Teilen der Gesellschaft, auch aufgeklärten und wohlmeinenden Kreisen, ganz einfach nicht bekannt ist. Als Wahlkampfthema scheinen sich "Homo-Ehe" und das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben trotzdem zu eignen, es lässt sich so herrlich damit Stimmung machen.

     

    Als "Vorzeigehomo" - die Beobachtung ist insofern nicht ganz falsch, als es häufig den sozusagen Betroffenen angetragen wird, über Themen mit schwullesbischen Inhalten zu berichten - kehrt man manchmal sein Innerstes (Privates) nach außen, um auf die gesellschaftliche Situation aufmerksam zu machen. Und bekommt dafür nicht immer einen Blumentopf.

     

    Vielen Dank jedenfalls für die Blumen, die meinem Mann und mir an dieser Stelle, dem taz.de-Forum, überreicht wurden.

     

    Beste Grüße, Martin Reichert

  • S
    sjb

    Wer bitte sonst kann von einer Schwulenhochzeit oder anderen Schwulenthemen am besten berichten, als ein Schwuler selbst? Es stimmt schon, dass die Verpartnerung der "normalen" Ehe um einiges nachsteht. Aber es ist ein erster Schritt. Und ich kann nur sagen, dass ich mich sehr für Martin und seinen Mann freue!! Ich gratuliere Euch ganz herzlich und wünsche alles Gute!

    Herrn Reicherts Kolumnen im taz2 lese ich am liebsten. Sie sind sympathisch, unterhaltsam und gut geschrieben. Es gibt keinen Grund über diese Entscheidung zu lästern. Ist es doch jedem selbst überlassen, wie er oder sie leben möchte, ob mit oder ohne Trauschein. Da steht es keinem Aussenstehenden zu darüber zu urteilen.

  • MS
    Michael Scheier

    Warum müssen eigentlich bei der TAZ immer nur die Homos das Thema Schwulenpolitik vertreten. Gibt es bei Euch niemand anders, der zB über so ne Schwulenhochzeit berichten kann? Oder traut sich keiner? Auch wenn´s vielleicht nicht ganz so korrekt wäre, wäre es jedenfalls bestimmt lustiger als diese ewigen Selbstbeweihräucherungen Eurer Vorzeigehomos.

  • D
    dharma

    Bei aller Freude über die amtlich fixierte Partnerschaft ist es doch wirklich traurig, dass es sich bei dieser "Verpartnerung" offensichtlich nur um eine Art Ersatzkonstrukt handelt, mit wie vom Autor erwähnt, mehr Pflichten als Rechten.

    Schade eigentlich...

  • C
    christoph

    @DiversityAndEquality

    gibt wohl kaum etwas spießigeres, als das militante Übertragen der eigenen Ansichten auf scheinbar Gleichgesinnte

  • K
    Krzyszek

    Mein lieber "DiversityAndEquality",

     

    wie gut, dass wir in einer so genannten pluralistischen Gesellschaft leben und es daher statt Ihrer Auffassung auch die von Herrn Reichert gibt.

     

    Was soll dieses Geschwafel von Heteronormativität, Dominanzgesellschaft und Zwangskonstruktionen? Niemand wird gezwungen zu heiraten. Ehe ist auch nichts Mittelalterliches. Auch nicht repressiv, da freiwillig.

     

    Deshalb meine Glückwünsche an Martin Reichert für seine gut geschriebene Kolumne und ihm und seinem Mann alles Gute für die Zukunft.

  • D
    DiversityAndEquality

    Meine Güte! Sind Sie allen Ernstes auch noch stolz darauf, dass Sie Ihre homosexuelle Identität über billige Imitationen mittelalterlicher, heteronormativer Konstrukte definieren?

     

    Wer die sexuelle Apartheid in Form so genannter "Lebenspartnerschaften", einer Ehe-Kopie zweiter Klasse für Bürger zweiter Klasse, auch noch durch eigene Beteiligung unterstützt, braucht sich wahrlich nicht zu wundern, dass es in diesem Lande gesellschaftspolitisch rück-, und nicht vorwärts, geht!

     

    Was waren das noch für Zeiten (die ich selbst als aktueller Twen leider nicht erlebt habe), in denen schwule Männer für eine wahrhaftige Emanzipation von der Hetero-Dominanzgesellschaft, für eine wirkliche Gleichberechtigung ALLER Lebenweisen (im Gegensatz zur schlichten Übernahme überkommener Hetero-Zwangskonstruktionen) gekämpft haben...

     

    Höchste Zeit, dass wir etwas von diesem Geist zurückgewinnen und die Schwerpunkte unseres hoffentlich irgendwann mal wieder emanzipativen Handelns als "Homo-Bewegung" nicht länger von den 5% spießbürgerlich-konservativen Anpassungs- und Anbiederungsschwestern diktieren lassen!

     

    Nicht die Imitation der mittelalterlichen Zwangsheterosexualität mit all ihren repressiven Konstrukten, Institutionen und Herrschaftsmustern, sondern deren Auflösung muss das Ziel sein!