Kolumne Landmänner: Gays against Guido
Der Außenminister hat gerade eine starke Wirkung nach innen. Aber Schicksalsgemeinschaft ist, wenn man trotzdem lacht.
M it Familien verhält es sich so: Der liebe Gott schaut im Telefonbuch nach und würfelt wahllos einige Leute zusammen, die dann für den Rest ihres Lebens zusammenhalten müssen. Dieses schöne, leider geklaute Bild beschreibt das Prinzip Schicksalsgemeinschaft: Man kann es sich nicht aussuchen, wer zur Familie gehört. Das gilt auch für Guido Westerwelle, der nun - ob es einem passt oder nicht - zur gesellschaftlichen Minderheit der Homosexuellen gehört. Und ja, es gibt Momente, da treibt es einem die Schamesröte ins Gesicht: "Das fällt wieder auf uns alle zurück", stöhnte ich, als wir zugedeckt mit unseren beiden Katzen vor dem Fernseher lagerten und der Außenminister, anstatt sich um das doch recht große Ausland zu kümmern, brandschatzend ins Innere des Landes vordrang mit seinem Hartz-IV-Dekadenzverdikt.
Ich hörte geradezu, wie in den Köpfen die Zuordnungsmechanik einrastete: Dekadenz - da ruckt ja gerade die richtige Kommode. Bashing von sozial Schwachen - Rechtspopulismus à la Haider. Und überhaupt typisch: diese Geländewagen fahrenden Yuppie-Schwulen. Das Problem ist einfach, dass Westerwelles Homosexualität am Ende stets alles überstrahlt, was er sagt und tut. Auch wenn dies nicht explizit ausgesprochen oder geschrieben wird.
So wie neulich an einer Berliner Bushaltestelle im Falle eines anderen Politikers: Ein Hartz-IV-Empfänger sprach mich an, um mir sein Leid zu klagen. So was kommt vor an grauen Wintertagen in Berlin-Neukölln. Ich war auch emphatischst bei ihm und seinen Nöten. Bis zu dem Punkt, als er den Schuldigen ausgemacht hatte: Den Wowereit, die "schwule Sau". Als ich nun entgegnete, dass es sich bei meiner Person ebenfalls um eine solche handele, wurde das Gespräch irgendwie traurig: "Ich habe doch nichts gegen Schwule, das ist mir doch egal, was jemand im Bett macht!", erwiderte er erzürnt, wohl auch ein wenig beschämt. Ich hatte ihn beschämt. Er wusste ja nicht, dass ich auch ein solcher war, und hatte angenommen, frei von der Leber reden zu können. Wie ja sonst auch.
Martin Reichert ist Redakteur der sonntaz.
Es sind diese kleinen Verwechslungsmomente der sogenannten heterosexuellen Vorannahme, die jene Wahrheiten zu Tage befördern, die einem dank der politischen Korrektheit meist erspart bleiben. Aber zugegeben: Ich war mit dieser Wahrheit überfordert. Ich war sauer, verletzt. Das Gespräch war beendet. Was dieser Mann wohl gedacht hat anlässlich Westerwelles eher wenig emphatischen Auslassungen zu Hartz IV?
Wahr ist jedoch, dass für diese Unbill all jene Wählerinnen und Wähler verantwortlich sind, die FDP gewählt haben - und ja, darunter waren auch Schwule und Lesben, denn die sind weder automatisch links, noch fahren sie alle Geländewagen, noch sind sie bessere Menschen. Wegen des göttlichen Telefonbuchs handelt es sich bei dieser Minderheit um ein queer zusammengewürfeltes Häufchen, das sich strukturell quer durch die Gesellschaft zieht, von oben nach unten von links bis rechts.
In unserem brandenburgischen Straßendorf wohnen wir auf der linken Seite ganz oben, und wenn die Dorfbewohner Besuch von auswärts haben, ist unser Haus eine kleine Attraktion: "Und hier wohnen die Schwulen" - so vernahmen wir es schon des Öfteren durch die Hecke. Und damit es nicht heißt, "und hier wohnen die Westerwelle-Typen", bin ich gerade der Facebook-Gruppe "Gays against Guido" beigetreten. Man kann auch gelbe Buttons kaufen und sich ans Revers heften, aber das erscheint mir nun aufgrund des schriftlichen identitären Bekenntnisses zu riskant. Lieber "heterosexuelle Vorannahme" als Sippenhaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken