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Kolumne LandmännerGays against Guido

Martin Reichert
Kolumne
von Martin Reichert

Der Außenminister hat gerade eine starke Wirkung nach innen. Aber Schicksalsgemeinschaft ist, wenn man trotzdem lacht.

M it Familien verhält es sich so: Der liebe Gott schaut im Telefonbuch nach und würfelt wahllos einige Leute zusammen, die dann für den Rest ihres Lebens zusammenhalten müssen. Dieses schöne, leider geklaute Bild beschreibt das Prinzip Schicksalsgemeinschaft: Man kann es sich nicht aussuchen, wer zur Familie gehört. Das gilt auch für Guido Westerwelle, der nun - ob es einem passt oder nicht - zur gesellschaftlichen Minderheit der Homosexuellen gehört. Und ja, es gibt Momente, da treibt es einem die Schamesröte ins Gesicht: "Das fällt wieder auf uns alle zurück", stöhnte ich, als wir zugedeckt mit unseren beiden Katzen vor dem Fernseher lagerten und der Außenminister, anstatt sich um das doch recht große Ausland zu kümmern, brandschatzend ins Innere des Landes vordrang mit seinem Hartz-IV-Dekadenzverdikt.

Ich hörte geradezu, wie in den Köpfen die Zuordnungsmechanik einrastete: Dekadenz - da ruckt ja gerade die richtige Kommode. Bashing von sozial Schwachen - Rechtspopulismus à la Haider. Und überhaupt typisch: diese Geländewagen fahrenden Yuppie-Schwulen. Das Problem ist einfach, dass Westerwelles Homosexualität am Ende stets alles überstrahlt, was er sagt und tut. Auch wenn dies nicht explizit ausgesprochen oder geschrieben wird.

So wie neulich an einer Berliner Bushaltestelle im Falle eines anderen Politikers: Ein Hartz-IV-Empfänger sprach mich an, um mir sein Leid zu klagen. So was kommt vor an grauen Wintertagen in Berlin-Neukölln. Ich war auch emphatischst bei ihm und seinen Nöten. Bis zu dem Punkt, als er den Schuldigen ausgemacht hatte: Den Wowereit, die "schwule Sau". Als ich nun entgegnete, dass es sich bei meiner Person ebenfalls um eine solche handele, wurde das Gespräch irgendwie traurig: "Ich habe doch nichts gegen Schwule, das ist mir doch egal, was jemand im Bett macht!", erwiderte er erzürnt, wohl auch ein wenig beschämt. Ich hatte ihn beschämt. Er wusste ja nicht, dass ich auch ein solcher war, und hatte angenommen, frei von der Leber reden zu können. Wie ja sonst auch.

Bild: taz

Martin Reichert ist Redakteur der sonntaz.

Es sind diese kleinen Verwechslungsmomente der sogenannten heterosexuellen Vorannahme, die jene Wahrheiten zu Tage befördern, die einem dank der politischen Korrektheit meist erspart bleiben. Aber zugegeben: Ich war mit dieser Wahrheit überfordert. Ich war sauer, verletzt. Das Gespräch war beendet. Was dieser Mann wohl gedacht hat anlässlich Westerwelles eher wenig emphatischen Auslassungen zu Hartz IV?

Wahr ist jedoch, dass für diese Unbill all jene Wählerinnen und Wähler verantwortlich sind, die FDP gewählt haben - und ja, darunter waren auch Schwule und Lesben, denn die sind weder automatisch links, noch fahren sie alle Geländewagen, noch sind sie bessere Menschen. Wegen des göttlichen Telefonbuchs handelt es sich bei dieser Minderheit um ein queer zusammengewürfeltes Häufchen, das sich strukturell quer durch die Gesellschaft zieht, von oben nach unten von links bis rechts.

In unserem brandenburgischen Straßendorf wohnen wir auf der linken Seite ganz oben, und wenn die Dorfbewohner Besuch von auswärts haben, ist unser Haus eine kleine Attraktion: "Und hier wohnen die Schwulen" - so vernahmen wir es schon des Öfteren durch die Hecke. Und damit es nicht heißt, "und hier wohnen die Westerwelle-Typen", bin ich gerade der Facebook-Gruppe "Gays against Guido" beigetreten. Man kann auch gelbe Buttons kaufen und sich ans Revers heften, aber das erscheint mir nun aufgrund des schriftlichen identitären Bekenntnisses zu riskant. Lieber "heterosexuelle Vorannahme" als Sippenhaft.

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Martin Reichert
Redakteur taz.am Wochenende
* 21. Februar 1973 in Wittlich; † 26. Mai 2023 in Berlin, war Redakteur der taz am Wochenende. Sein Schwerpunkt lag auf gesellschaftlichen und LGBTI-Themen. Er veröffentlichte mehrere Bücher im Fischer Taschenbuchverlag („Generation Umhängetasche“, „Landlust“ und „Vertragt Euch“). Zuletzt erschien von ihm "Die Kapsel. Aids in der Bundesrepublik" im Suhrkamp-Verlag (2018). Martin Reichert lebte mit seinem Lebensgefährten in Berlin-Neukölln - und so oft es ging in Slowenien

5 Kommentare

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  • D
    Daniel

    @Stefan:

     

    Gebe dir völlig recht.

     

    Ich finde die Kampagne Gays against Guido absolut daneben.

     

    Ich hasse die FDP, ich mag Guido Westerwelle nicht, ich teile seine Meinung zu Hartz IV nicht und ich bin auch schwul. Aber muss ich daraus eine Kampagne stricken ... so nach dem Motto "ach, übrigens, es gibt auch Schwule, die nicht so sind wie Guido" ... natürlich gibts die ... da brauch man keine Buttons.

     

    Und wie fände man es, wenn in den USA dann demnächst die Kampagne "Schwarze gegen Obama" startet. Das hat sowas Ätzendes.

     

    Es gibt eine gewisse Solidarität unter uns, aber scher bloß nicht aus und vertrete irgendeine Meinung, die ich nicht teile, sonst verwirkst du das Recht auf unsere Gruppensolidarität ...

     

    Wie gesagt, ich mag Guido Westerwelle wirklich gar nicht und seine Politik noch viel weniger. Ich finde auch, dass die Form seines Coming-Outs feige war und wenig vorbildlich.

     

    Aber mein "gegen Guido sein" hat nichts damit zu tun, dass ich auch schwul bin. Und wenn Guido mal auf der Straße Opfer einer schwulenfeindlichen Attacke werden sollte (konstruiert ... gebe ich zu), könnte er auf meine Solidarität zählen.

     

    Bei dieser Kampagne wurde glaube ich einfach zu wenig durchdacht, was man damit alles lostritt. Die Themen Homophobie, erster schwuler Außenminister, Hartv-IV-Hetze, blöde FDP-neoliberale-Politik, Solidarität unter Minderheiten, etc pp lassen sich nicht auf drei kurze Worte oder ein Button reduzieren.

     

    Daniel

  • J
    joerg

    @stefan:

    "Gays against Guido" ist eben nicht nur ein dummer Slogan a la "Haarfärbeunfälle gegen Claudia" etc. Der Künstler Wolfgang Müller, der diese Aktion initiiierte, hat das Thema Ästhetik/Politik bereits 1996 durch einen original FDP-Wahlkampfstand mit aufgedruckte Blaumeisen visualisiert, der damals auf der Kölner Kunstmesse großes Aufsehen erregte. Der "Witz" mit dem Button funktioniert nur, weil Westerwelle 1.) schlecht Englisch spricht 2.) Jeder Buttonträger sich automatisch selbst positioniert ! 3.) Westerwelle quasi als sexuelles Neutrum mit FDP und CDU 2001 noch gegen die rotgrünen Gleichstellungsgesetze stimmte, sich erst 2004 erstmals mit Freund zeigte, aber selbst nie als "schwul", "gay" oder "queer" definierte. Er ist quasi nur ein "homosexuell" tätiges "Neutrum" wie Jörg Haider. Hinter der Aktion steckt eine weit differenzierte und komplexere Angelegenheit, als es zunächst den Anschein hat. Es gibt aufschlussreiche Interviews mit dem Künstler in der FR und SZ darüber.

     

    Der "Neo-Individualliberalismus", den Müller auch in seinem SPEX-Jahresrückblick 2009 thematisiert, hat viel mit den Grünen ("Schwarz-grün-gelb Koalition: Utopie im Saarland")und Medien, einschließlich der taz und ihrer "Positionsvielfalt" zu tun, die letztlich eine neo-individualliberale Positionslosigkeit ist. Allerdings ist die Diskussion dort noch nicht angekommen.

     

    Mehr auf: http://www.genderwiki.de/index.php/Neo_-_Individualliberalismus

  • HK
    Helga Kraus

    tja, Herr Reichert,

     

    zum Glück gibt es jede Menge coole Schwule, der Schreihals W. macht Euch viel kapputt.

     

    Wie kann eine Partei so schamlos nach unten treten, Guido macht dieser Partei den Schreiesel. Schlimm nur, dass sie es alle miteinander so meinen, die Herren und Damen "Liberalen".

  • S
    Stefan

    "Gays against Guido" erinnert mich ein wenig an das Prinzip "Kritische jüdische Stimmen gegen Israel".

    Mit einer Gemeinsamkeit hat man seine Kritik veredelt, oder wie?

    Brauchen wir schwule "Kronzeugen" gegen Westerwelle, damit Kritik quasi "schließlich aus den eigenen Reihen kommt"?

    Ich pflege meine Meinung gegenüber anderer Personen in der Sache auszudrücken.

    What next?

     

    Ostfrauen gegen Angie?

     

    Übergewichtige gegen Sigmar?

     

    Rollstuhlfahrer gegen Wolfgang?

     

    Haarfärbeunfälle gegen Claudia?

     

    Vielfachmütter gegen Ursula?

     

    Menschen mit Migrationshintergrund gegen Phillip?

     

    Adelige Männer mit mindestens 10 Vornamen gegen Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester? (Achtung, großer Button - Aufpreis!)

     

    Das einzige, was ihr mit der Gruppe "Gays against Guido" erreichen werdet: Die Leute werden vielleicht - nachdem sie was gegen Wowereit oder Westerwelle gesagt haben - ergänzen, dass ja nicht alle "schwulen Säue" so wären wie die.

  • TM
    Torsten Maas

    Endlich mal jemand der das Ausspricht was eigentlich die Mehrheit hier im Lande auch über Herrn Westerwelle denkt.Ich habe das Gefühl als wenn die FDP immer noch der Meinung ist ,sie wären die Opposition.Es ist die Pure Aufhetze !Was macht man wenn man mit sich unzufrieden ist? Man sucht sich in der Gesellschaft das schwächste Glied heraus und benutzt es um von sich selber und den Problemen abzulenken.Herr Westerwelle und seine FDP-Freunde werden bald von der Realität eingeholt und werden dann bemerken das ihre Haltung gegenüber den Mindestlöhnen dafür Verantwortlich ist das die Schere zwischen Arbeitnehmer und Suchenden immer weiter aufeinander zugeht.Herr Westerwelle,Sie sind eine Schande für Deutschland !