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Kolumne KonversationDie falsche Bescheidenheit

Kolumne
von Natalie Tenberg

Wer nicht sagt, was er möchte, geht zwar nicht leer aus. Bekommt aber nur eine olle DVD. Wer aber sagt, was er will, kann sein Wunschobjekt - hier die Zahnbürste - unter dem Baum finden.

M eine Mutter ruft nun, kurz vor Weihnachten, täglich an und gibt mir den aktuellen Stand durch. "Ich habe … gekauft", sagt sie und zählt auf, wer was bekommt. Es gibt nämlich zwei maßgebliche Kriterien, die meine sowie andere Mütter anscheinend bei der Auswahl von Geschenken anlegen: Sie sollten irgendwie praktisch wirken, was aber über den tatsächlichen Nutzwert nichts aussagt.

Bild: taz

Natalie Tenberg ist Redakteurin bei taz 2

In diesem Jahr, glaube ich, wird ein weiterer Bräter unter dem Christbaum liegen. Denn: Obwohl immer alle so tun, als ginge es Weihnachten darum, andere zu überraschen, stimmt das gar nicht. Also mal ganz abgesehen von der Botschaft von Nächstenliebe und der Sache mit dem Jesus-Baby. Wahrscheinlich hat die Dessous- und Parfümindustrie dieses fiese Gerücht gestreut, um ihre Verzweiflungskäufer zu beruhigen.

Im Grunde lassen sich die Menschen in drei Kategorien einteilen: diejenigen, die sagen, was sie gerne zu Weihnachten möchten, und die anderen, die still hoffen, es möge dieser Kindle-Reader sein und dann vielleicht doch wegen des Pullovers enttäuscht sind. Mit beiden Spezies kann man wunderbar leben. Wirklich schwer machen es einem doch die Menschen, die wirklich bedürfnislos durchs Leben gehen und immerzu sagen: "Ich brauche nichts!" So eine löbliche Haltung möchte ich instinktiv mit dem besten Geschenk von allen belohnen, also zickzacke ich durch die Geschäfte, immer aufgelöster, verzweifelter und kaufe am 23. deprimiert eine DVD - welch Eingeständnis meines Scheiterns.

Letztes Jahr musste sich meine Mutter über den Bollywood-Kracher "Om Shanti Om" freuen. Also wechselte sie in diesem Jahr zum ersten Mal die Seiten und sagte ganz klar, was sie sich wünscht, nämlich genau die Zahnbürste, die ich auch habe. Das hört sich zunächst mal bescheiden an. Doch meine Zahnbürste ist ein technisch hochgerüstetes Gerät, das unglaublich viele Bewegungen pro Sekunde macht und wahrscheinlich irgendwelche Wellen hoch zum Mond sendet und irgendwann das Gleichgewicht unserer Erde durcheinanderbringen wird, aber dafür sorgt, dass ich gänzlich ohne Zahnstein sterben werde. Ich kriegte also leichtes Herzflimmern, als meine Mutter ihren Wunsch äußerte, denn das Wunderding hat seinen Preis. "Mama möchte meine Zahnbürste", sagte ich meiner Schwester, die sie dann sofort bei Amazon bestellte. Blöd nur, dass meine Mutter zwei Tage später anrief und behauptete, sie wolle auf keinen Fall mehr meine Zahnbürste, sondern eine kleinere. Wer sich schon einmal mit elektrischen Zahnbürsten beschäftigt hat, weiß, die sind eigentlich alle gleich groß, außer den bunten, oft Disney-verzierten Kinderzahnbürsten. Mir jedoch war nicht aufgefallen, dass meine Mutter eine Leidenschaft für Arielle, die Meerjungfrau entwickelt hatte. Außerdem war die andere schon bestellt. Wie also sollte ich sie nun doch wieder von meinem High-End-Gerät überzeugen? "Meine aber hat einen Timer", erklärte ich ihr. Wollte sie nicht. "Es gibt eine Ultraschall-Reinigungsstation dazu!", informierte ich sie. Brauche sie nicht, war ihre Haltung. "Die ist auch viel zu teuer", sagte sie kleinlaut. "Und eigentlich braucht ihr mir gar nichts zu schenken."

Natürlich wird am 24. trotzdem die Zahnbürste überreicht, das wissen wir, das weiß meine Mutter. Durch ihren angedeuteten Rückzieher wird sie dennoch einen Anlass haben, überrascht zu wirken. Ich werde selig den Bräter anschauen und sagen, dass er ein tolles Geschenk wäre. Und völlig übertrieben. Im Grunde nämlich brauche ich nichts und sage das auch.

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