Kolumne Knapp überm Boulevard: Sauhilde und Sprenghilde
„Hysteria“ ist eine echte hardcore Burschenschaft – nur halt links und feministisch. Im einheitlichen Festgewand mit Schärpe und Kopfbedeckung.
D ie Rechtspopulisten verstehen sich dezidiert als Anti-68er. Der neue österreichische Innenminister Herbert Kickl hat in einem Interview klar gesagt: Diese Regierung ist ein offensiver Gegenentwurf zum Projekt der 68er, also Liberalisierung der Gesellschaft, Toleranz, Aufklärung. Zugleich aber eignen sich die Rechten linkes Gedankengut und linke Aktionsformen ebendieser 68er an. Sie sind es, die Gramscis Konzept des Stellungskrieges im Kampf um die Hegemonie, um die Vorherrschaft in den Köpfen, leitet. Und Rechte sind es, die heute Sponti-Aktionsformen – von Spaßguerilla bis hin zu Provokationen – betreiben.
In Österreich aber geht es noch paradoxer zu. Hier findet man solche ehemals avantgardistischen Aktionsformen bei den „Identitären“ neben den völlig anachronistischen Burschenschaftler mit ihren NS-Liederbüchern in einvernehmlicher Gleichzeitigkeit.
Neuerdings aber gibt es da eine erstaunliche und unerwartete Antwort von links, die beide Momente verbindet: die Burschenschaft „Hysteria“. Diese ist geschlechtlich ebenso homogen wie ihre rechten Pendants – allerdings homogen weiblich. Es ist dies keine der sogenannten Mädchenschaften, die mehr ein Wartezimmer für rechte Boxenluder sind. Nein, die „Hysteria“ ist eine echte, hardcore Burschenschaft. Nur halt links und feministisch.
Die weiblichen Mitglieder nennen sich auch „Burschen“. Sie treten geordnet auf. In Wichs, dem einheitlichen Festgewand mit Schärpe, und Deckel, der Kopfbedeckung der Korporierten. (Die österreichische Öffentlichkeit durchlief ja zuletzt einen Einführungskurs in die Sprache der Burschenschaftlerwelt.) Die „Hysteria“ hat auch ihr eigenes Wappentier, eine schreiende Hyäne, ebenso wie all die üblichen Rituale: Trinklieder, einen eigenen Gruß („Heil Hysteria!“) sowie eine eigene Historie.
Sie tragen auch Couleurnamen (wie Sauhilde oder Sprenghilde), die ihnen eine Identität jenseits ihrer „bürgerlichen Identität“ verleihen, wie dies in solchen Bünden üblich ist. Ihr Motto: „Ehre, Freiheit, Vatermord“. Zu ihren Forderungen gehört neben einer weltweiten Angleichung des Menstruationszyklus auch die Einschränkung des Männerwahlrechts.
In ihren Aktivitäten verbindet sich provokante Spaßguerilla mit alten Zeichen. So haben die „Hysterias“ etwa beim Ball der „anderen“ Inkorporierten, dem Akademikerball, mitten im Ballsaal ihre Banner vom Balkon aus entrollt. Die versammelten Burschen wurden ganz blass unter ihren Couleurs.
Ist das nun Satire?
Ist das nun Satire? Das greift zu kurz. Satire kennt ja eine Außenposition, einen Beobachterstatus. Dem verweigern sich die „Hysterias“. Ein Kunstprojekt à la Laibach, die [sic!; d. Säzzer] den Umgang mit faschistischen Zeichen ja auch in völligem Ernst inszenieren? Realitätsinszenierung wie Yael Bartanas „Jewish Renaissance Movement in Poland“? All das kann man diskutieren. Aber mindestens genauso interessant wie die Frage, wo, auf welcher Ebene, in welcher Form dabei Aufklärung stattfindet.
Das Vollziehen der Rituale – vom Singen der Lieder bis hin zum eigenen Gruß, von der einheitlichen Kleidung bis hin gemeinsamen Besäufnis – vor Publikum, aber auch, wenn keiner dabei ist. Das Vollziehen der Rituale, ernst in der Ironie und ironisch im Ernst, all das macht etwas mit den Beteiligten. Es erzeugt bei den Teilnehmerinnen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit. Dieser wesentliche Effekt solcher Bünde entsteht auch hier.
Es ist dies eine Art Import von rechten Erfahrungen. Oder eher ein Rückimport. Man sieht – die Bewegung von politischem „Wissen“ ist keine Einbahnstraße. Der Gerechtigkeit halber muss man aber hinzufügen: Es ist dies eigentlich das alte – materialistische (!) – Wissen der Kirche. „Knie nieder, bewege die Lippen zum Gebet und du wirst glauben“, heißt es bei Pascal.
Zusammen knien oder Ritualen folgen erzeugt Zugehörigkeit und Solidarität. Bei Gläubigen ebenso wie bei der „Hysteria“. Vielleicht wäre das auch was für die SPD?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter