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Kolumne Knapp überm BoulevardAuthentischer Fausthieb

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Street Credibility hat bei Rapper Sido immer noch höchste Priorität. Das bekam nun auch ein Society-Reporter des österreichischen Fernsehns zu spüren.

D er Rapper Sido hat es als Juror einer Castingshow in Österreich zu einer beachtlichen Popularität gebracht. Damit ist es nun vorbei. Also zumindest mit der Castingshow. Das mit der Popularität – das ist noch offen.

Denn nach der Livesendung am letzten Freitag hat Sido in einer Auseinandersetzung mit einem Society-Reporter des österreichischen Fernsehens diesen mit einem Faustschlag niedergestreckt. Den Job ist er nun los. Die Geschichte ist aber in mehrfacher Hinsicht paradox.

Zum einen hat das österreichische TV, das ihn nun gefeuert hat, Sido ja nicht zufällig engagiert. Vielmehr hat der ORF sehenden Auges einen bekannten Rapper mit allen Rapperattributen geholt, weil dieser ihnen ein Versprechen zu sein schien.

Bild: Daniel Novotny
ISOLDE CHARIM

Jahrgang 1959, ist freie Publizistin und lebt in Wien.

Das Versprechen, jene Authentizität zu verkörpern, die junge Leute aus gänzlich anderen Milieus anzieht. Denn diese jungen Leute, die der ORF als Zielgruppe gewinnen wollte, verlangen nach Bildern und Erzählungen von intensiveren Lebensformen.

Rückgrat der Sendung

Und genau das konnte Sido bieten. Wenn Verlierertum gewendet wird, dann kommt es – auch mit Machogeste – als Kraft an, als Heroismus in postheroischen Zeiten. Sidos Engagement war also ein strategischer Schachzug, um junges Publikum anzulocken. Zugleich war die Liebe vom ORF zu Sido wie jene von Schwulen zu älteren Frauen: eine Zuneigung zu entschärften Minen.

Diese sind keine Bedrohung mehr, winken aber noch mit ihrem alten Potenzial. So hat auch der Rapper eine bürgerliche Läuterung durchgemacht: weit genug, um im Mainstream zu reüssieren, aber nicht zu weit. Seine Rapperidentität sollte er nicht vergessen.

Um ihn wegen seiner Street Credibility zu engagieren, musste diese also gezähmt sein, aber noch winken. Und wenn er nun das tat, was zu seiner Street Credibility dazugehört, dann braucht man sich nicht zu wundern. Er hat sich als der Rüpel-Rapper verhalten, als den man ihn engagiert hat. Das war – trotz aller Zähmung – erwartbar.

Nicht erwartbar hingegen war etwas ganz anderes. In der Sendung gab es vier Juroren. Sido jedoch war derjenige, der – und das war das wirklich Erstaunliche – er war derjenige, der in mehrfacher Hinsicht das Rückgrat der Sendung war: ästhetisch, pädagogisch und – ja echt – auch moralisch.

Das Ästhetische ist noch am leichtesten zu verstehen: Er hatte einfach ein sehr sicheres Geschmacksurteil und Qualitätsbewusstsein. Aber Sido war auch in pädagogischer Hinsicht unerwartet. Etwa im offenen Umgang mit Benachteiligten und Behinderten aller Art.

Oder mit jenen zwei Jungs, elf- oder zwölfjährig, die aus einer verschlafenen Kleinstadt kamen und ausgerechnet mit einem Sido-Song antraten. Und als er dann zum Schluss mit ihnen gemeinsam sang, wurde er zum Gegenteil des Songtitels: „Ich bin ein schlechtes Vorbild.“

Das Erstaunlichste aber war, dass es ausgerechnet Sido war, der das moralische Banner hochhielt. Er war derjenigen, der einem „wichtigen“, jedenfalls omnipräsenten Klatschreporter die Stirn bot – allerdings nur bis er die Faust dazugesellte. Er war es auch, der sich in der ersten Staffel mit einem mächtigen Journalisten der allmächtigen Kronenzeitung anlegte. Ausgerechnet der Rüppelrapper hat eine aufrechte Haltung ins öffentlich-rechtliche Fernsehen gebracht, die den vorherrschenden Diskurs unterbrach.

Nun aber hat er sich selbst ausgeboxt. Ist seine Popularität damit auch verschwunden? Eine weitere Paradoxie der Geschichte liegt darin, dass es niemanden in diesem Land zu geben scheint, der Mitleid mit dem Opfer hat. Der Faustschlag hat offenbar eine verbreitete Sehnsucht in Bezug auf diesen Herren verwirklicht.

Das wackelige Video erhellt den Ablauf der Szene nicht ganz. Sidos Stimme aber ist deutlich zu hören, wie er seinen Kontrahenten beschimpft: „Hurensohn! Ich fick deine Mutter“ – ganz nach dem Vorbild von Zehnjährigen im Park. Das steht auch einem Rapper nicht. Das hatte was von heruntergelassenen Hosen. Die Sendung aber kann man vergessen. Die schaut jetzt keiner mehr. Übrig bleiben die Kandidaten – für die interessiert sich auch niemand mehr.

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Themen #Sido
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12 Kommentare

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  • M
    mummy

    @Webdiskurs: Schön dass du mal alle deine ewiggestrigen Vorurteile rauslassen konntest. Dummerweise liegst du mit allem völlig daneben: Ich bin keine Feministin, das geht auch schlecht, da ich ein Mann bin! Und ich hasse ganz sicher keine Rapper, weil ich selber einer bin und auch schon seit Jahren erfolgreich andere Rapper produziert habe (ich wette sogar, dass sich mehrere Projekte an denen ich beteiligt war, in deiner Plattensammlung befinden).

     

    Ich verabscheue nur gewaltbereite Wichtigmacher wie diesen Sido-Proll, welcher die Rapper-Szene für seine persönliche Promotion-Zwecke immer in den Dreck zieht und damit unsere Musikrichtung als Unterschichten-Ghetto-Sound für Versager und Asozial darstellt und es so aussehen lässt, als würden Rapper hauptsächlich prügelnde "isch ficke deine Mudda"-Schreihälse mit Migrationshintergrund sein.

     

    Alle die Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung gutheißen oder akezeptieren, zeigen übrigens, dass sie geistig noch nicht erwachsen sind und nicht in unsere Gesellschaft gehören, sondern in die Steinzeit.

     

    Dass viele damit argumentieren "der hats doch verdient" oder "endlich hat der Homo eins draubekommen" zeigt ja, welches kranke Weltbild ihr Typen habt. Und dann seid ihr meist auch noch zu feige offen zuzugeben, dass ihr Gewalt geil findet, sondern fabuliert so einen Schmarrn wie "Gewalt finde ich nicht gut, aber die Prügel für ihn waren super, weil ers verdient hat"...ja sehr logisch!

     

    Gewalt ist ein No-Go ohne wenn und aber - PUNKT! Da gibt es keine "aber der hats verdient" oder "aber der hat mich doch provoziert"-Ausreden. Anscheinend kapiert ihr nicht, dass ihr exakt genauso argumentiert wie die spinnerten islamischen Fundamentalisten: Die rechtfertigen ihre Ehrenmorde mit einer "Provokation" und einer "Verletzung der Ehre". Die rechtferigen auch ihre Gewalt damit, dass "der andere" doch selber schuld ist, weil er sich eben so verhalten hat - NEIN, IHR SEID EINZIG UND ALLEIN VERAHTWORTLICH FÜR DAS, WAS IHR TUT, NIEMAND ANDERES. Es gibt also auch keine Ausreden "der hats verdienst" oder "der hat mich provoziert".

     

    Werdet doch einfach erwachsen und lernt, nicht ständig auszuflippen und euch provozieren zu lassen! So einfach ist das!

     

    Übrigens: Wenn Sido sowieso keinen Respekt vor Heinzl hatte und ihn offenbar für "unter seiner Würde" ansieht, warum lässt er sich dann überhaupt von diesen "Unwürdigen" provozieren? Komisch, wenn ich jemand nicht ernst nehme, interessiert mich auch nicht, was der über mich sagt. Einen echten Mann mit Selbstwertgefühl lässt doch sowas kalt und jede Beleidigung an sich abperlen. Wer sich sein Selbstwertgefühl durch Prügel holen muss, ist ein armes Würstchen und zeigt damit nur seine eigene Unsicherheit.

  • I
    Internetfuzzy

    Eine absolute WIN | WIN Situation. SIDO und Heinzl in aller Munde. Das Opfer um den keiner trauert und der Rapper der seinem Image gerecht wurde. Sido verkauft mehr CD's, weil jetzt endlich jeder wissen will was der so singt und Heinzl kann in seiner Sendung wochenlang über diesen Vorfall berichten.

     

    Mal angenommen das ganze wendet sich in: "Sie haben sich versöhnt" und der "ORF hat sich mit SIDO ausgesprochen". Dann gibt es einen dritten der sich die Hände reibt. Einschaltquoten nach oben offen!! Das ganze ist nur ein PR-GAG um die Quoten langfristig nach oben zu schauffeln.

     

    Zu manchen Kommentaren hier: "Österreich hat es nötig, endlich Leute zu finden die anderen großen "menschenbeeinflussenden Organisationen" (Krone, ORF) die Stirn bieten.

  • MR
    Martin Ripka

    Sehr geehrte Frau Charim,

     

    Danke für Ihren Artikel, dessen Einschätzung ich gänzlich teile.

     

    Ergänzung: bitte kommentieren Sie auch in vertiefter Form das offenbar ganz bewußte zu-Boden-Gleiten von Herrn Heinzl. Das wird ja auch Hauptthema für die Polizei sein. Ein Bewußtloser fällt leider wie ein Stein und nicht zeitversetzt und in Zeitlupe. Falls das so ist, entlarvt sich eine ganz bösartige Taktik gegen Sido. Weiters die ungerechte Reaktion des ORF - mit Heinzl und seiner Agitation offenbar voll solidarisch.

     

    Natürlich ist insbes. die verbale Entgleisung seitens Sido gegen Heinzls Mutter aufs Schärfste zu verurteilen. Aber: "jemand zur Sau machen" besteht in ihrer verfeinerten Form in jener subtilen Kunst, den Gegner dorthin zu bekommen, daß dieser die Kontrolle verliert und sich selbst wie ein Schwein benimmt. Dann erscheint der Täter als Opfer und umgekehrt. Lt. Wörterbuch Deu-Öst: "Jemanden steigen lassen". Schade für Sido. Gut, daß ein zweites Video an die Öffentlichkeit gedrungen ist, welches der ORF nicht, wie in anderen Fällen, unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis verschwinden lassen konnte. Es gilt die Unschuldsvermutung.

     

    Sido hat sich in wunderbaren Worten und rasch für seinen Mist-Anteil entschuldigt. Heinzl hingegen wollte das Spucken auf Anfrage ´nicht kommentieren´. Dafür lobt er schriftlich die Entschuldigung Sidos. Und gesteht mit keiner Silbe eigene Schuld ein. Frau Golpashin zieht ihren Tweet zurück. Wie erhellend.

     

    Bitte besuch´ uns wieder, Sido! Du bist schwer in Ordnung. Es gibt im Ösiland zum Glück nicht nur Charaktere wie jene, die Dich jetzt am Gewissen haben. Im ganzen österreichischen Bundesgebiet ist das sogenannte ´glatte Wiener Parkett´ gefürchtet. Jetzt weißt Du, warum.

     

    Mit freundlichen Grüßen, Martin Ripka

  • C
    cave

    Interresanter Artikel von einer Wienerin. Die anderen Juroren: Peter Rapp, für die alten aber als Juror ohne Qualitäten. Dann die blonde die extra und bewusst vor dem Start der Staffel noch ein Lesben Image verpasst hat und nur durch laszive Sprüche glänzen konnte. Angeblich Ballerina. Eine Tussi die keienr kennt. und Sido.

     

    Und nur Sido konnte den Diskurs hochhalten. Rundherum nur Schleimige Moderatoren.

     

    Der Artikel könnte ein Update zu folgenden Themen vertragen:

    Golpashin-Spuck-Tweet-Zensur

    Faustschlag-mit-der-flachen-Hand

    2-Sekunden-KO-Verzögerung

    Schienbeintreten-von-Heinzl

    Tonspur-Zensur-durch-ORF

  • O
    Oliver

    "Man fragt sich, warum die Österreicher es überhaupt nötig hatten, einen abgehalfterten Möchtegern-(Pseudo)Rapper aus Deutschland zu importieren?"

     

    Naja, das liegt daran, dass die ORF-Führung vom Zeitgeist her noch in den 60ern lebt. Die haben keine Ahnung von der Jugend und scheinen sich hinsichtlich dessen an deutschen Boulevard-Magazinen zu orientieren. Schade, zu meiner Jugend-Zeit war das anders, aber da ist einiges schief gegangen in der Entwicklung.

  • FO
    fürstin oblomow

    @ mummy: "von mummy:

     

    "Man fragt sich, warum die Österreicher es überhaupt nötig hatten, einen abgehalfterten Möchtegern-(Pseudo)Rapper aus Deutschland zu importieren?

    Haben die denn selber keinen Typen wie Sido im ganzen Land - sprich einen erfolglosen, schlechten Musiker mit dummen Sprüchen und ohne Hirn? Sowas gibt es doch überall wie Sand am Meer."

     

    ja, tut echt leid, aber wir hatten sido nötig!

    bei uns sind nämlich sogar die erfolglosen, schlechten musiker mit dummen sprüchen und ohne hirn angepaßt und arschkriecherisch bis zum-geht-nicht-mehr.

  • FO
    fürstin oblomow

    "Eine weitere Paradoxie der Geschichte liegt darin, dass es niemanden in diesem Land zu geben scheint, der Mitleid mit dem Opfer hat. Der Faustschlag hat offenbar eine verbreitete Sehnsucht in Bezug auf diesen Herren verwirklicht. "

     

    ich gehöre nicht zur zielgruppe sidos und identifiziere mich auch nicht mit gewaltphantastischen texten, aber: sido war in all seinen ORF-sendungen zum thema große chance einfach großartig! die restlichen juroren waren randerscheinungen. es ist unendlich schade, daß er nicht mehr dabei ist - für mich definitiv der grund, diese sendung nicht mehr anzuschauen.

     

    und noch was: ich bin gegen gewalt, aber: sido hat dieser schleimigen, schmierigen societywanze endlich einmal grenzen aufgezeigt. leute wie dieser heinzl sollten im orf, der ja aus steuergeldern und zwangsmitgliedschaft finanziert wird, überhaupt keine bühne bekommen!

     

    hoffentlich sieht man sido wieder im fernsehen, egal ob in österreich oder deutschland. er hat wirklich rückgrat bewiesen!

     

    beste grüße aus wien.

  • II
    interessant, interessant

    @ Graf NItz:

    Wenn Kevin dem Dominic Heinzl eine aufs Maul gehauen hätte, wäre der nicht mehr aufgestanden^^

     

    Aber sie haben schon Recht, da wäre der mediale Aufschrei wohl ein ganz anderer.

  • G
    Galdor

    Oder man erinnere sich an Birne, wie er seine Bodyguards beseiteschiebend auf den Eierwerfer losging. Hätte er danach nicht zurücktreten müssen? Der Prügelkanzler mit schwarzen Löchern im Kopf und kriminellen Freunden. Da ist das doch bei einem Aggrostylisten völlig normal. Mal sehen wann dieser andere Gangster Bushido offiziell zu weit geht. Kultur Mann Alder is das.

  • W
    Webdiskurs

    Gelungener Artikel. Aber mit street credibility hat Sido schon lange nichts mehr zu tun. Dafür ist die Marke Sido zu kommerzialisiert. Trotz Gewaltanwendung fand ich die Aktion von ihm super. So ein provokanter, aalglatter Schluchtenscheisser hat mal eine verdient. Lächerlich wie der sich auf den Boden geschmissen hat.

     

    @Mummy: Erlauben Sie mir Ihre Worte zu übersetzen:

    "Ich bin eine militante Feministin, die Rapper wie Sido schonmal aus Prinzip hasst, obwohl ich mich noch nie mit Texten von ihm auseinandergesetzt habe. Ich bin neidisch auf seinen Erfolg, weil ich in meinem Leben selber nichts auf die Reihe bekomme. Daran sind nur die Männer und der Staat schuld."

  • M
    mummy

    Man fragt sich, warum die Österreicher es überhaupt nötig hatten, einen abgehalfterten Möchtegern-(Pseudo)Rapper aus Deutschland zu importieren?

     

    Haben die denn selber keinen Typen wie Sido im ganzen Land - sprich einen erfolglosen, schlechten Musiker mit dummen Sprüchen und ohne Hirn? Sowas gibt es doch überall wie Sand am Meer.

  • GN
    Graf NItz

    Frage: Was wäre, wenn der Fausthieb nicht von SIdo, sondem Kevin, dem Chef der "Böhsen Onkelz", ausgeteilt worden wäre?