Kolumne Klatsch: "Umeme kwa Wote" - Licht für alle
Vom schönen Gefühl, zum falschen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein - oder wie es ist, auf die Erleuchtung zu warten.
Philipp Maußhardt (49) ist Mitglied der Reportage-Agentur "Zeitenspiegel" und hat große Angst davor, seine Leser zu langweilen oder einzuschläfern. Darum klatscht er beim Schreiben oftmals laut in die Hände in der Hoffnung, dass sie es beim Lesen hören.
Jetzt hat gerade der gelbe ploceus cucullatus den weißen elanus caeruleus von der Mole am See verjagt. Hinter mir hat ein afrikanischer Fischadler die Szene verfolgt und erhebt sich von einem riesigen Baum in die Lüfte, von wo er zusammen mit einem roten Milan Kreise im blauen Himmel zieht. Der grüne, kurz geschorene Rasen führt von meinem Frühstückstisch direkt zum See hinunter, zum Viktoriasee, dem zweitgrößten Süßwassersee der Welt. Vier Kellner bemühen sich um meine Belange.
Die Rusinga-Lodge liegt am kenianischen Ufer des Viktoriasees und ist am besten mit kleinen Flugzeugen über eine natürliche Landepiste zu erreichen. Hauptsächlich Amerikaner und Russen seien früher gekommen, sagt die Besitzerin, eine freundliche Frau aus Schottland, nun sei es allerdings wegen den Unruhen im Land etwas ruhiger geworden.
"Etwas ruhiger" - das ist stark untertrieben. Ich und mein Fotograf sind die einzigen Gäste in der ganzen Anlage. Das gesamt Personal des Luxus-Ressorts kümmert sich nur um uns. Eigentlich war ich in die Gegend gekommen, um die Fischer von Mbita beim Fischfang zu begleiten. Die Fischer von Mbita am Viktoriasee sind durch einen Zufall der Weltgeschichte zu einer ausgewählten Testgruppe geworden, die es in der Hand hat, ob sich das Leben von 1,6 Milliarden Erdbewohnern in Zukunft verbessern wird. In ihrer Sprache, auf Suaheli, heißt das: "Umeme kwa Wote" - Licht für alle.
Die deutsche Firma Osram kam nämlich auf die eigentlich naheliegende Idee, für die 1,6 Milliarden Erdbewohner, die heute ohne Zugang zu Elektrizität leben, eine durch Sonnenenergie aufladbare Lampe zu entwickeln. Nun stehen diese Dinger in einem vorgestern eingeweihten Haus in Mbita und sollen von den Fischern vor Ort getestet werden.
Die Idee ist genial: Die Fischer, die bisher mit teuren und umweltverschmutzenden Kerosin-Funzeln nachts auf dem See die Fische anlockten, können sich in Zukunft eine mit Solarenergie aufgeladene Energiesparlampe mit aufs Boot nehmen, und sie bezahlen lediglich einen kleinen Betrag für die Aufladung. Die Lampen und Batterien werden wie Gasflaschen gegen Pfand ausgegeben. Die Idee könnte für 1,6 Milliarden Menschen ungeahnte Folgen haben: Was machen die plötzlich, wenn es dunkel wird und sie noch sehen können? Wie stark wird sich das auf das Bevölkerungswachstum auswirken? Werden die alle mit Lesen beginnen?
Fragen von Weltbedeutung. Denn vom Ergebnis in Mbita hängt es ab, ob Osram diesem Geschäftsmodell eine weltweite Chance geben wird. Am Donnerstag wurde die Ladestation in Mbita offiziell eingeweiht: Von Osram waren Vertreter aus München gekommen, Journalisten aus der ganzen Welt waren angereist, ein Vertreter der deutschen Botschaft, die lokalen Behörden und der Abgeordnete des Distrikts waren dabei, als das Band vor der neuen Ladestation durch schnitten wurde. Die neuen Lampen standen bereit, das Experiment konnte beginnen. Dann flogen alle wieder zurück in die Hauptstadt, und nur ein Fotograf und ich bleiben hier, um in den darauf folgenden Nächten mit den Fischern hinauszufahren, um zu sehen, ob die Lampen auch wirklich etwas taugen.
Es fuhr aber kein Fischer in jener Nacht mit einer Osram-Lampe hinaus auf den See. Es fuhr überhaupt kein Fischer hinaus. Denn ab dem Tag der Einweihung, so hat es überraschenderweise ein Bürokrat im Fischereiministerium von Nairobi verfügt, dürfen die Fischer von Mbita drei Monate lang nicht mehr hinausrudern auf den See, damit sich die Sardinenbestände erholen können.
Ich weiß nicht, ob das Sinn macht, wo einige Kilometer weiter jenseits der kenianischen Grenze der Fischfang munter weitergeht. Ich weiß nur: Ich bin zum falschen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ein Mitarbeiter des Fischereiministeriums hat den Testversuch per Dienstanweisung vorläufig beendet. So müssen nun 1,6 Milliarden Menschen möglicherweise drei Monate länger warten, ehe das Licht zu ihnen kommt.
Fragen zum Licht? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über seine Charts
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!