Kolumne Katastrophen: Das Gegenteil von Gier
Was die Finanzkrise mit Comics, Ovomaltineriegeln und Makrobiotik zu tun hat? Einiges
Kirsten Reinhardt (31) arbeitet in der Online-Redaktion der taz.
Knurps, mampf, schluck. Raschel, blätter. Knurps. Knister. Comics lesen. Ovomaltineriegel essen. Comics lesen. Ovomaltine-Riegel essen. Das ist ein Leben! Doch was ist das? Mein Freund wühlt sich durch orangefarbene Schoko-Papiere und aufgetürmte Comics, die den Weg zu mir auf dem Sofa versperren. "Verfall nicht der Macht deiner Gier; sie wird wie ein Stier deine Kraft abweiden. Dein Laub wird sie fressen, deine Früchte verderben und dich zurücklassen wie einen dürren Baum!", zitiert er die Bibel (Nicht, dass er tatsächlich katholisch wäre). Also: Ich? Gier? Dürrer Baum? Tatsächlich fühle ich mich etwas leer nach Tagen der Sofa-Residenz und Turbo-Lektüre. Trotz der circa 130 Ovomaltineriegel im Bauch. Wie konnte es so weit kommen? Ich bin doch ein eher ungieriger Typ. Zumindest, wenn man Ackermannsche Maßstäbe an mich anlegt. Da bin ich geradezu bescheiden.
Dass andere viel mehr an Gier leiden als ich, kann jeder sehen, der einen Blick in die Tageszeitungen wirft. Ich sage nur: Finanzkrise. Bloß weil diese Investmentfondsbrokerwallstreetaktientypen den Hals nicht voll bekommen konnten, gleicht die Weltwirtschaft bald einem dürren Baum. Oder auch nicht, wer weiß das schon so genau. Meine Freundin Mathilde, eher uninteressiert am wirtschaftspolitischen Treiben in der Republik, fragt mich neulich am Telefon, ob ich mir eigentlich Gedanken mache wegen der Finanzkrise. "Nö", sage ich, an einem Ovomaltineriegel kauend und mich halbherzig von der spannenden Stelle in Osamu Tezukas "Ode to Kirihito" zu lösen - ein Comic, in dem eine seltsame Krankheit die Menschen zu hundeähnlichen Wesen werden lässt und die gerade den Helden, einen feschen Arzt in einem Tokioter Krankenhaus, befallen hat. "Ich schon", sagt Mathilde und dass sie nicht wisse, ob alles nun halb so wild sei und sie den Merkel-Steinbrückschen Beschwichtigungen glauben solle - oder ob alles ganz, ganz schlimm sei und alle nur so tun würden, als ob nicht.
Wenn es mit der deutschen Wirtschaft bergab ginge, wäre sie ja eine der Ersten, die es spüren würden - denn an Menschen, die freiberuflich schöne Dinge gestalten, spare man ja am ehesten. Sie habe sich sogar schon überlegt, was sie von ihrem Geld kaufen sollte, solange es noch etwas wert sei. "Hm, knurps, was?", frage ich halbherzig, noch halb gebannt von der Verwandlung des Arztes Kirihito, der sich mit seiner Hundeschnauze über ein rohes Steak hermacht und halb andächtig in Gedanken an die Massen von Nachschub, die ich von meinem Ersparten kaufen könnte. "Eine Blitzlichtanlage zum Fotografieren und ein Auto." Das nenne ich ungierig.
Zurück zum Sofa. Kennen Sie eigentlich Ovomaltineriegel? Das sind aus Kakao- und Malzpulver zusammengepresste, mit Schokolade überzogene, na ja: Riegel eben, die mal halb lutschend isst. Oder in meinem Fall: verschlingt. Ein Produkt, das ich vor einigen Jahren nach erfolgreichem Aufstieg auf den Tiroler Berg Rosskogel erstmals kosten durfte. Nun gibt es das seit neuestem auch hier. Ich benötige täglich etliche dieser köstlichen Dinger. Mit den Comics ist es ähnlich. "Ode to Kirihito" ist nur einer der Monsterbände, die ich in diesen Sofa-Tagen verschlungen habe. Dazu kommen etliche "Donjon"-Folgen von Trondheim & Sfar. Inzwischen bin ich bei einem anderen Tezuka angelangt, in dem einer 48 Dämonen besiegen muss, die ihm je einen Körperteil geklaut haben, um wieder vollständig zu werden. Toll.
Immerhin hat mich die zu stillende Gier einer kleinen Person, für die ich seit neuestem verantwortlich bin, gezwungen, "Die heilige Krankheit", die Geschichte des französischen Comic-Zeichners David B. und seines unter Epilepsie leidenden Bruders - und nebenbei die Geschichte sämtlicher Kriege und esoterischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts - mit Pausen zu lesen. Das tat gut. Im Comic versuchen die Eltern, ihren Sohn mit Makrobiotik von der Epilepsie zu heilen. Das Gegenteil von Gier, man muss jeden Bissen hundert Mal kauen. Vielleicht sollten es die Investmentfondsbrokerwallstreetaktientypen mal damit probieren.
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