Kolumne Kapitalozän: Wenn Thomas Tuchel Trump wäre
Der große Ökonom Milton Friedman ist von den Toten auferstanden. Ein Gespräch mit ihm über Donald Trump und natürlich Hitler.
So verstehen Sie doch endlich: Donald Trump ist kein Kapitalist“, sagt Friedrich August, der auf einer Teekiste auf meinem Esstisch sitzt und ein paar Rubelmünzen von meiner letzten Russlandreise knabbert.
Er klingt verzweifelt.
„So ein Quatsch. Trump hat als Bauunternehmer Milliarden gescheffelt, was sonst soll er sein?“, gebe ich zurück.
Friedrich August, hauptberuflich Geist des Kapitalismus, wohnt seit ein paar Monaten bei mir. Er ist 30 Zentimeter groß, trägt wie immer einen Frack mit Blume im Knopfloch, dazu Zylinder.
„Stellen Sie sich ein Fußballspiel vor, sagen wir Bayern gegen Dortmund“, erklärt Friedrich August. „In der Halbzeit wettet Thomas Tuchel auf einen Sieg von Dortmund. Gleichzeitig wird er Schiedsrichter. Würden Sie das noch als Fußballspiel bezeichnen?“, fragt der stets freundliche Zwerg.
Das Kapitalozän ist die linksökologische Erweiterung des Anthropozäns. Demnach ist es nicht der Mensch an sich, der Ánthropos, der den Planeten geologisch verändert. Nein, es sind die Kapitalisten. Schließlich können, global gesehen, die meisten Menschen nichts für die Naturzerstückelung.
„Der Trump-Vergleich ist der neue Hitler-Vergleich“, konstatiere ich.
„Die Regierung ist“, doziert Friedrich August, „dazu da, die Spielregeln des Marktes zu setzen und sie als Schiedsrichter durchzusetzen. Unter Tuchel ist die Wall Street Fußballspieler, Schiedsrichter, DFB und Fußballwettbüro gleichzeitig“, sagt Friedrich August.
„Sie meinen: unter Trump. Nicht unter Tuchel. Tuchel ist der Trainer, Trump der Präsident“, verbessere ich.
Ehe Friedrich August was erwidert, knallt es, heiligste Scheiße!, mitten in meinem Wohnzimmer ganz gewaltig. Es stinkt nach Schwefel, und im Nebel erscheint ein alter Mann in elegantem Anzug. Sein Gesicht zeigt Zeichen der Verwesung. „Ja was, ja was! Hocherfreut!“, jauchzt Friedrich August.
Der faulige Greis reicht mir, ich sitze noch baff am Esstisch, die Hand zum Gruß und sagt auf Englisch: „Pleasure to meet you. My name is Friedman.“
Es ist kein Geringerer als einer der berühmtesten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, der da vor mir steht. Der Vater des Neoliberalismus. Milton Friedman fährt in sabberndem Englisch fort (ich übersetze):
„Ich muss Friedrich August beipflichten. Trump will den Markt im Namen des Nationalismus manipulieren. Wenn ich mich selbst zitieren darf: ‚Hinter den meisten Argumenten gegen den freien Markt steckt der mangelnde Glaube an die Freiheit selbst‘“, nuschelt der Untote.
Ich bin nervös. Sehr, sehr nervös, weil – was müsste man jetzt nicht alles erwidern? Dass es nach der Definition seit 50 Jahren keinen Kapitalismus mehr in den USA gibt, weil sich die Wall Street die Regeln selbst schreibt. Ganz so, als wäre Thomas Tuchel nicht nur Schiedsrichter und Trainer, sonder auch Chef der chinesischen Wettmafia in Personalunion. Aber ich bin nervös, und so frage ich den Auferstandenen:
„Herr Friedman, gibt es ein Leben nach dem Tod?“ Friedman mümmelt etwas verdutzt mit seinem fauligen Mund. „Yes, indeed“, sagt er. „Wir lesen da sogar Zeitung.“ „Print oder online?“, frag ich.„Ausschließlich print.“
Das beruhigt. Printmedien im Totenreich. Kein Internet. Es wird wie früher, als alles besser war.
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