Kolumne In Fußballland: Vielleicht nicht ganz unhaltbar

Ich habe wie so viele Freizeitkicker ein Herz für Torhüter - ganz im Gegensatz zu Rudi Völler.

Für mich ist jeder Ball unhaltbar, weshalb ich Torhütern gegenüber stets von weitaus größerer Nachsicht bin als gegenüber ihren Kollegen auf dem Feld. Wenn Torjäger, mögen sie auch Mario Gomes oder Miroslav Klose heißen und Könner ihres Fachs sein, auf der Torlinie ein Luftloch hauen und deshalb den Ball nicht über die Linie bekommen, schießt auch mir sofort der berühmte Satz durch den Kopf: "Den hätte ich doch reingemacht." Er hat seine Berechtigung, weil jeder noch so untalentierte Freizeitkicker so einen wirklich schon mal reingemacht hat. Genauso wie man schon mal erfolgreich den Ball aus einer Zusammenknubblung stochernder Beine befördert hat und daher jeden Verteidiger verdammen darf, dem das in einem schlechten Moment nicht gelingt.

Mit Torhütern ist das eine andere Sache, weil sie ein rätselhaftes Geschäft betreiben, das die meisten Fußballzuschauer aus eigener Praxis nicht kennen. Oder nur näherungsweise, wenn sie irgendwann mal zu müde, zu verkatert oder nicht richtig fit waren und daraufhin beim Kick auf der Wiese zwischen die beiden Tüten gestellt wurden, die das Tor markieren sollten. Dort haben wir uns dann die Bälle um die Ohren fliegen lassen, weil Hände viel zu schade sind, um sie bei irgendwelchen Fangversuchen zu ruinieren.

Wer würde es da wagen, angesichts einer wenig überzeugenden Torwartparade zu sagen: "Den hätte sogar ich gehalten." Fußballprofis geht es offensichtlich nicht anders. Die Äußerungen von ehemaligen Verteidigern, Mittelfeldspielern oder Stürmern, die es zu Experten im Fernsehen oder anderswo gebracht haben, zum Treiben der Männer zwischen den Pfosten jedenfalls sind erstaunlich vage. Im schlimmsten Fall halten sie einen Ball für "vielleicht nicht ganz unhaltbar".

Dass es auch anders geht, kann man von Rudi Völler lernen. Dem Manager von Bayer Leverkusen ist eigentlich nichts Menschliches fremd, und er hat für vieles Verständnis, außer für Torhüter. Das durfte man kürzlich einmal wieder nach einem Bundesligaspiel erleben, als Völler vor der Umkleidekabine am Fernseher die Zusammenfassung der anderen Partien anschaute. "Das ist doch ein Fliegenfänger", sagte er plötzlich über einen Keeper, dessen Namen wir hier lieber verschweigen wollen und der gerade ein Tor kassiert hatte, das andere als vielleicht nicht ganz unhaltbar klassifiziert hätten.

Aber nicht so Völler, dessen Stirn sich sofort zu kräuseln begann, bis sich die Zornesfalte endgültig zeigte, als ein weiterer Keeper, dessen Name ebenfalls ungenannt bleiben soll, ein Freistoßtor kassierte. Völler machte eine wegwerfende Handbewegung, und alle, die ihn schon ein wenig länger kennen, begannen zu kichern. Sie wussten, dass der ehemalige Nationaltrainer bei dem Thema angekommen war, angesichts dessen er sich vom nicest man in football business in einen Kreuzzügler verwandelt.

"Sie wissen ja vielleicht, dass ich zu Torhütern so meine eigenen Ansichten haben", sagte Völler und hob umgehend an, seine Ansichten darzulegen, in deren Mittelpunkt der Torwart beim Freistoß steht, besonders beim direkten. "50 Prozent aller direkten Freistöße sind haltbar", verkündete er. Das klingt nach einer steilen These, aber Völler vertritt sie schon länger mit großer Vehemenz. "Wohin können Freistöße denn geschossen werden?", fragte er und forderte von den Torhütern, dass sie mehr spekulieren, wenn der Schütze anläuft. "Du musst dich halt mit deinem Job beschäftigen." Auf meine etwas vorlaute Frage, ob denn schon mal ein Keeper auf ihn gehört hätte, sagte Völler: "Unser René Adler kassiert relativ wenig solcher Tore."

Bleibt aber die Frage, woher Völlers Furor kommt. Spricht daraus seine Verachtung für jene Spezies Fußballspieler, der er als Goalgetter früher reihenweise die Bälle um die Ohren gehauen hat? Oder gibt es ein unbewältigtes Torhütertrauma, weil er so oft an denen scheiterte, die Fußball als Einzige mit der Hand spielen dürfen? Oder hat er einfach recht und ist vielleicht wirklich jeder zweite Freistoß haltbar?

Ich vermag das leider nicht zu entscheiden, für mich persönlich ist jeder Freistoß unhaltbar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.