Kolumne Idole: An der Reckstange mit Sissi
Wie viel Wahrheit verträgt ein Idol? Ein neuer Blick auf eine alte Kaiserin und der tragische s-Verlust.
Kirsten Reinhardt (31) arbeitet in der Online-Redaktion der taz.
Die eigentliche Katastrophe ist doch, immer wer anders sein zu wollen als der, der man ist. Ab jetzt werden hier also Idole seziert. Meine Großmutter mütterlicherseits verehrte Romy Schneider als "Sissi" und steckte mich mit ihrem Faible für die Kitschtrilogie an. An Weihnachten Kekse knabbern und die "Sissi"-Filme ansehen war Tradition. Ach, die schöne Romy! Die raffinierten Kleider! Die böse Erzherzogin Sophie! Die schöne Romy, äh, Sissi!
Die Reanimation vergessener Bräuche kann Wunder wirken. Der Wiener Freund ersetzte in diesem Jahr die verstorbene Oma, schaute die "Sissi"-Gold-Edition auf DVD mit und verspritzte verbale Giftpfeile mit dem Tenor Geschichtsverklitterung. Also musste die Biografie "Elisabeth. Kaiserin wider Willen" der Historikerin Brigitte Hamann her.
Ein wunderbares Buch, das die 50er-Jahre-Filme von Ernst Marischka verdammt alt aussehen lässt. Und seine "Sissi" verdammt langweilig.
Die Frage ist doch: Wie viel Wahrheit verträgt ein Idol? "Sissi" hieß ja in Wahrheit bloß Sisi - und damit fängt die Sektion schon an. Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern, geboren 1837, wurde mit 16 Jahren Kaiserin von Österreich, später Königin von Ungarn und gilt heute als magisch-schön, anmutig und irgendwie überirdisch. Vor allem, weil sie sich ab 40 nicht mehr porträtieren oder gar fotografieren ließ. Aber, aber, aber. Erstens: Sisi war gar nicht so ein armes, liebes Zuckerkind - sondern wurde zunehmend zu einer wunderlich-kapriziösen Schrulle. Zweitens: Erzherzogin Sophie war der Schwiegertochter am Anfang nicht übel-, sondern äußerst wohlgesonnen. Drittens: Franz-Joseph war kein fescher Jungkaiser - sondern ein ödipal geplagter Langweiler.
Aber wie hätte das auch in den Film gepasst: Sisi legt sich über Nacht eine Scheibe Kalbsfleisch aufs Gesicht, um Falten vorzubeugen; badet um fünf Uhr früh kalt und lässt sich eine Stunde lang die kaiserliche Wespentaille schnüren. Sie verehrt Heinrich Heine derart glühend, dass sie meint, ihr "Meister" würde ihr die Gedichte, die sie zu Papier bringt, aus dem Jenseits diktieren. Sie leidet an Anorexie, ernährt sich oft nur von Milch und Fleischbrühe. Ihre Zähne sind so schlecht, dass sie nur mit halb geschlossenem Mund nuschelt. Die Diners in der Hofburg sind ein Desaster, da das Kaiserpaar nicht zur gepflegten Tischkonversation imstande ist. Weihnachtsfest? Dito.
Was in den Marischka-Filmen ebenfalls zu kurz kommt, ist Sisis körperlicher Drill. Nächtliche Gewaltmärsche und Turnübungen an Ringen und Sprossenwand in ihren Gemächern. Ihr griechischer Vorleser Christomanos beschreibt den Anblick der Kaiserin an den Turnringen: "Sie trug ein schwarzes Seidenkleid mit langer Schleppe und von herrlichen schwarzen Straußenfedern umsäumt. Auf den Stricken hängend machte sie einen phantastischen Eindruck, wie ein Wesen zwischen Schlange und Vogel."
Das hätte Romy Schneider sicher gern gespielt. Vielleicht hätte sie sich so zu Teil vier der "Sissi"-Schmonzette überreden lassen, hätte "Sissis" absolute Verweigerung des Kaiserinnenseins und ihre Flucht ins Absonderliche thematisiert. Wie viel Wahrheit verträgt ein Idol also?
Im Falle Sisi ziemlich viel, machen ihre Grillen sie doch viel interessanter. Die Wiener aber sahen das nicht so, und es war für den Mythos "Sissi" beinahe ein Glück, dass die Kaiserin 1898 von einem italienischen Anarchisten mit einer Feile erstochen wurde. Und für das "Sissi"-Museum in der Wiener Hofburg, das diese Feile ausstellt, ebenfalls.
Fragen zur Kaiserin? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried kämpft für ÖKOSEX
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