Kolumne Idole: Unterwegs mit Keith Richards
Manche Menschen geben ihren Blumen Namen. Ich benenne meine Schuhe nach alten Männern.
M ein Schuster hatte Tränen in den Augen. "Diese … ähm, Schuhe", sagte er und schwenkte meine heiligen Lieblingsstiefel vor meiner Nase, "diese Schuhe sind nicht zu retten." - "Ach bitte, Sie können das!", flehte ich. Der Mann blickte mich angewidert an und deutete auf die Löcher, die wie aufgerissene Wunden zwischen Leder und Sohle klafften. "Nichts zu machen", sagte er defätistisch. Ich wog meine Chancen ab. Ein Leben ohne meine Keith-Stiefel? Undenkbar. "Also gut", sagte ich. "Machen Sie Sohle und Absätze, ich ziehe sie dann nur bei trockenem Wetter an." Der Schuster verzog den Mund, aber Auftrag ist Auftrag, und so händigte er mir eine hübsche kleine Papiermarke aus. Am Ende der Woche könne ich die "ähm, Schuhe" abholen.
Meine Keith-Stiefel. Gekauft 2003 als kniehohe Edel-Übergangsstiefel aus weichem Wildleder, wurden sie im Laufe der Jahre zu umgestülpten Tretern in schmutziggrau. Zu eben dem Modell, das Keith Richards zu der Zeit trug, als Mick Jagger in Baseballhosen und oben ohne über Stadionbühnen hoppelte und blöde Lieder wie "Start me up" sang. Also etwa 1982. Auf meine abgerockten Keith-Stiefel lasse ich nichts kommen.
Bis ich sie wiederhabe, trage ich eben die Dylan-Schuhe. Schwarze Halbschuhe mit Absatz, ein wenig spitz vorne, und wenn ich so durch das herbstliche Berlin schreite und aus dem Augenwinkel meine Schuhe hüpfen sehe, habe ich gleich ein ganzes Konzert im Kopf. Dylans 1966er-Tour, einen schmollmündigen Typ mit manierierter Lockenmähne und wirr-trotzigem Gebaren, der Fieses über einen "Leopard-Skin Pill-Box Hat" nölt. Nach dem Schusterbesuch setzte ich mich auf eine Bank im Park, hielt meine frisch imprägnierten Dylan-Schuhe in die Sonne und las ein Interview, das Spex-Chef Max Dax dereinst mit Ex-Spex-Chef Diedrich Diedrichsen führte. Es ging um Johnny Cash und dass die breite Begeisterung für ihn was mit Altseinwollen zu tun hat.
Kirsten Reinhardt arbeitet in der Online-Redaktion der taz.
Altseinwollen? Ich fühlte mich irgendwie ertappt. "Das ist ein psychologisches Problem …, das schrecklich ist. Dieser Wunsch, das Leben hinter sich zu haben und diese Angst vor dem Leben, die dahinter steckt …", so formulierte es D. D., und ich dache nur, ob Cash oder Richards oder Dylan, das macht ja nun auch keinen Unterschied mehr. Angst vor dem Leben? Oha. Ist das jetzt eine Diagnose?
Gleich fiel mir die E-Mail eines befreundeten taz-Kollegen ein, der mir darin eine seltsame "Tendenz zu Kukident-Traditionalisten" attestierte. Ich fand das lustig damals, aber unter der fatalen Formulierung Diedrichsens betrachtet, sah die Sache schon anders aus. Habe ich Angst vor dem Leben? Will ich alt sein? Warum benenne ich meine Schuhe nach faltigen Männern? Wobei Letzteres nicht ganz stimmt, ich benenne sie nach dem, was die inzwischen, zugegeben, ziemlich faltigen Männer in der Blüte ihres Lebens waren. 1982 und 1966. Also mitnichten faltig. Ich habe mich ja auch schon gefragt, woher diese Leidenschaft kommt. Und bisher nicht getraut, sie eingehender zu erforschen.
Leicht panisch blättere ich weiter und stoße auf ein Interview mit dem Jazzpianisten Herbie Hancock. Er spricht davon, wie Musik junge Menschen prägt. Der erste Soundtrack zum Leben, der einen in einer Phase erwische, in der man leicht zu beeindrucken sei, würde einen total imprägnieren. Herr Hancock, danke für die Absolution. Ich habe keine Angst vor dem Leben, ich wurde bloß von Typen auf alten Platten imprägniert. Wo sich dann auch der Kreis zu den Schuhen schließt. Und ich finde, es hätte schlimmer kommen können.
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