Kolumne Hessen vorn: Der erste MP mit Frauenbewegung
Gräfin Pilati hat schon manchen zu Fall gebracht. Zurzeit engagiert sie sich für die CDU und Roland Koch.
Roland Koch geht mit gutem Beispiel voran. In seinem Anstandskatalog für die Bild-Zeitung rief der selbsternannte "akzeptierte Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen" zu einer Rückbesinnung auf "altbewährte Redensarten" auf. "Ohne Fleiß kein Preis!" Eine Fleißarbeit war zum Beispiel die Eroberung seiner Frau Anke. Erst nach "einem wochenlangen Nervenkampf mit fürsorglicher Belagerung" sei sie schwach geworden, erzählt der Ministerpräsident in Bild und offenbart eine gesunde Selbsteinschätzung: "Ich war nie der Typ, bei dem die Frauen auf den ersten Blick sagen: 'Der und sonst keiner!'" Das Gefühl des Zukurzgekommenseins teilt der Sprecher mit der Mehrheit der schweigenden Mehrheit von Deutschen (SMVD). Auch die meisten Männer fänden ihn nicht gleich auf Anhieb nett. "Ich setze da eher auf Beharrlichkeit, die zahlt sich meistens aus."
Je stärker der Gegenwind, umso beharrlicher besetzt Koch seine Themen, je lauter die Kritik, umso beharrlicher sitzt er sie aus. Wie einst Helmut Kohl. Auch der war kein Beau und verstand sich auf die Stimmungslagen der SMVD. Aus deren Mitte rekrutiert sich jetzt die erste Frauenbewegung für einen CDU-Ministerpräsidenten. Star der Initiative "Frauen für Roland Koch" ist Kristina Gräfin Pilati. Genau, die badende Gräfin auf den neckischen Pool-Fotos, die der politischen Karriere des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping ein jähes Ende machten. Verteidigungsminister turtelplanscht auf Mallorca, während deutsche Soldaten einen gefährlichen Dienst auf dem Balkan versehen. Kochs Gegenkandidatin Andrea Ypsilanti hofft auf einen neuen Coup der Gräfin: "Mit ihr sind schon andere baden gegangen."
Was aber will die Initiative "Frauen für Roland Koch"? Die Initiatorin Ingrid Pajunk nimmt sich spontan Zeit für ein längeres Telefonat und entschuldigt sich. Sie habe eine Tablette im Mund, sie sei erkältet, ich solle nicht denken, sie sei unhöflich und esse beim Reden. Frau Pajunk ist 68, war lange Pressesprecherin der Brauerei Henninger und spricht druckreif. Sie sei kein Parteimitglied, setze sich aber gerne für die Region Frankfurt ein und wolle einen Rückfall in rot-grüne Verhältnisse verhindern. Die Bildungspolitik sei doch Gleichmacherei gewesen, eine Nivellierung nach unten. Das umstrittene Projekt G8, also die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre, befürwortet sie, das Gejammere von den überforderten Kindern kann sie nicht mehr hören.
Aber was ist mit der Frauenpolitik der Regierung Koch? Im Zuge der "Operation Sichere Zukunft" wurden systematisch gesellschaftliche Errungenschaften und soziale Sicherungen desavouiert, die eines gemeinsam haben: Sie weisen zurück ins Jahr 1968 und besonders auf die Erfolge der Frauenbewegung. Gekürzt oder gleich gekappt wurden Zuschüsse für Frauenhäuser, Frauenbildungsprojekte und zum beruflichen Wiedereinstieg von Frauen. Pro Familia, Elternberatungsstellen, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie - Relikte aus der rosaroten Kuschelpädagogik. Frau Pajunk verteidigt "notwendige Einschnitte. Roland Koch tritt Frauen sehr offen gegenüber und weiß, wie wichtig Familie ist". Außerdem sei das ja eine Wahl und kein Schönheitswettbewerb, Koch sei eben kein Medientyp.
Aber Koch und die Familie? Kennt Frau Pajunk eine der wenigen überlieferten Äußerungen der meist schweigenden Anke Koch? Sie wolle nicht, dass ihre Söhne Politiker werden, es sei schlimm genug, dass sie ohne Vater aufgewachsen sind, entfuhr es der MP-Gattin in einem seltenen Moment des Kontrollverlusts. Frau Pajunk wird ein bisschen ungehalten, sie habe ihre Kinder auch alleine großgezogen, so war das eben damals. Einmal in Fahrt, verändert sich der Ton. Auf die Frage nach Kochs Kampagnen-Xenophobie gibts mehr SMVD als Henninger-Diplomatie: "Wenn ich ein Geschäft in der Türkei oder Abu Dhabi aufmache, muss ich auch die Sprache können."
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