Kolumne Habseligkeiten: Loggia. Fast Süditalien.
Wer nicht verreist, kann es sich trotzdem schön machen. Auf Balkonien, inmitten von Kräutern aus eigenem Anbau.
H aben Sie sich schon entschieden, wohin Sie in den Sommerurlaub fahren? Nach Portugal? Oder nach Mallorca? Nicht wenige werden in Zukunft an die Nordsee fahren. Aber vielleicht denke ich das nur, weil am Sonntag bei "titel, thesen, temperamente" ein Film über diese Region vorgestellt wurde, der glauben macht, dort läge das Paradies.
Ich selbst fahre lieber in den Cilento als nach Emmelsbüll, wo es immer saumäßig windet. In Süditalien nämlich ist es wunderschön. Kleine Städtchen liegen am blauen Meer, im Hintergrund stehen grüne Berge, und die Menschen sind so freundlich, dass man sie alle gleich umarmen möchte. Gut, die Menschen fahren unglaublich waghalsig Auto, dafür versteckt sich hinter jeder Ecke ein Kleinod. In Nordfriesland fährt man schnurstracks geradeaus, und das Einzige, was einem auffällt ist, dass jede Familie ein riesiges Trampolin im Garten stehen hat. Das Leben dort muss wirklich langweilig sein. Nicht so in Bella Italia, wo das Kindertheater um zehn Uhr abends beginnt.
Leider fahren wir dieses Jahr, aus einer Fülle von Gründen nicht nach Italien, sondern bleiben zu Hause in Berlin. "Wir machen Urlaub auf Balkonien", sage ich denn auch dieser Tage häufig und füge als Trost meiner selbst hinzu: "Dort ist es fast so schön wie in Marina di Camerota." Falls Sie diesen malerischen Ort nicht kennen, stellen Sie sich etwas hübsches Italienisches vor, und da haben Sie es. Für unseren Balkon heißt das, es wird dort tierisch heiß und es stehen wahnsinnig viele Pflanzen herum. Wenn ich Balkon sage, ist das eigentlich falsch. Denn was sich da in unsere Wohnung einbettet, nennt sich Loggia, und das hört sich gleich viel wohnwertsteigender an.
NATALIE TENBERG ist Redakteurin im taz-Ressort "Gesellschaft, Kultur, Medien".
Wenn diese Loggia bis vor kurzem an einen Ort erinnerte, dann höchstens an den großen Kreisverkehr von Battiplagia, ein tristes Stück Süditalien. Wer mit dem Auto am Meer entlang Richtung Reggio C. fahren möchte, muss hier von der Autobahn herunter und landet in einem Rund aus Schutt, Müll und verdörrten Gras, das erstaunlicherweise nicht in die Ödnis führt. Bei uns bleichten Plastikwäscheklammern auf dem Boden vor sich hin, von Gästen gefüllte Aschenbecher standen in der Ecke. Die Stühle leisteten dem Tisch Gesellschaft, es saß dort nie jemand.
Inzwischen essen wir abends unsere Fussili mit Meeresfrüchten im Sonnenuntergang und warten darauf, dass die Tomaten reif werden. Gurken haben wir in diesem Jahr keine gepflanzt, dafür Sonnenblumen, Koriander, Dill, Chili, Duftwicken, Lavendel, Margeriten, Efeu, Thymian, Erdbeeren, Männertreu, Pfennigkraut, Hornveilchen, Rosmarin, Salbei und Minze. Es hat natürlich etwas Angeberisches, wenn man den Freunden beim Abendessen groß und breit erklärt, welche Kräuter im Essen aus eigenem Anbau stammen. Aber beim Agriturismo stört das auch niemanden. Im Gegenteil.
Die passende Lektüre für den Sommer in der Loggia habe ich auch schon gefunden. "Das Rätsel der Sandbank" von Erskine Childers. In diesem Buch aus dem Jahr 1903 geht es um Segler und Spione. Das Ganze spielt natürlich: an der Nordsee.
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